Was ist das Spiel mit der Welt?
Von Heinrich Horwitz
Am 13. November 2024 hat ein breites Bündnis aus der Berliner Kulturlandschaft zum öffentlichen Protest gegen die geplanten Kürzungen im Berliner Kulturhaushalt aufgerufen. Gegen die Kürzungen sprach sich auch Heinrich Horwitz als Initiator*in der Petition „An den Freien Künsten zu sparen, kostet zu viel“ in einer Rede aus – hier zum Nachlesen:
Guten Morgen, Berlin!
So schön, dass ihr alle da seid. So schön, dass wir hier heute zusammen sind.
Ich bin Heinrich Horwitz – und ich sage das immer gerne nochmal laut, weil es dann real wird, weil die Bühne immer der Ort ist, an dem ich und ich als Stellvertreter*in real werde. Ich werde real, weil ihr hier seid. Weil wir gemeinsam einander betrachtend, hörend, fühlend beisammen sind, weil wir jetzt hier Zeit teilen.
Weil wir sichtbar sind für die, die uns anschauen, anhören, die mit uns spüren – das Publikum. Wir sind real, wir sind ein Teil dieser Wahrheit.
Wir sind auch ein Teil dieser Welt, ein kleiner, ein marginaler könnte man sagen, aber einer, der sich aufbricht. Wir sind auf der Straße und alles um uns herum ist Teil dieser Welt, in der wir uns in Frage stellen, befragen, verletzlich machen. Das Theater ist nämlich ein Ort der Verwundung. Ein Ort, an dem wir unsere Körper, unsere Sprache, unsere Seele (oder wie auch immer ihr das nennen mögt) immer und immer wieder zur Disposition stellen.
Füreinander und für das Außen – wir probieren andere Leben. Werden zu Fremden, Fremdlinge dieser Welt. Das fremde Leben leben und dieses (und nie will ich darunter setzen) zu einem besseren erdenken, eine Utopie erspielen. Wo ist der Ort, an dem wir eine Utopie denken können, die sich dieser befremdeten, dieser grausamen Welt entgegen lehnt?
Ich bin hier heute Platzhalter*in – wie so oft, wie im Theater so oft, stehe ich nicht nur für mich selber, sondern einen ganz Teil der Gesellschaft abbildend – ich kämpfe für eine intersektionale Sichtbarkeit von allen Marginalisierten, und heute stehe ich hier für queere, nicht binäre, trans Personen, für die Sichtbarkeit von jüdischen Kolleg*innen, aber auch für die Crip Community, BiPoC, für Menschen aus anderen ökonomischen Schichten, für die SubKultur, meine Drag Siblings ohne Häuser, für die arabische Community, Menschen mit Migrationshintergrund, für FLINTAS* und Euch alle.
Nachdem wir in den letzten Monaten gemeinsam, mit 36.600 Unterschreibenden, für die Bundesmittel eingestanden sind, stehen wir heute hier solidarisch mit den Menschen aus den Ländern, Kommunen, Kulturschaffenden und Kulturbegeisterten, aus Hannover, München, Dresden, und bilden einen Schulterschluss.
Dieser Schulterschluss ist auch eine Utopie. Zwischen Freier Szene, interdisziplinär, den Institutionen und möglicherweise der Politik. Weil vielleicht können wir uns nach heute zusammensetzen und überlegen, wie die Kultur nachhaltig verfestigt werden könnte.
Auf dass wir Kultur als innovationstreibend, als demokratiefördernd, als utopisches Potential, als Zukunftswerkstatt – wie es der Theaterwissenschaftler Nikolaus Müller-Schöll sagt – in diesem Land stärker verankern, Theater als Heimat aller denken, als Hinwendung in eine Gemeinschaft.
Dafür stehe ich und so viele heute hier.
Im Namen der Kultur, denn wir und sie sind Teil dieser Welt.
Kultur ermöglicht vielfältige Räume des sozialen Miteinanders, der Begegnung und des Dialogs. Ob auf der Bühne, in den Galerien und Projekträumen, auf der Straße oder in den Clubs: Diese Vielfalt hält Berlin, Deutschland überhaupt erst lebendig und weltoffen. Als ein Land mit Kulturorten für all ihre Communitys, ein Magnet für die internationale Kulturszene.
Die Freie Szene, die etablierten Institutionen aller Sparten und die Amateurkultur, Berliner*innen und internationale Gäst*innen sind durch ihre Kultur auf vielfältige Weise miteinander verwoben und im Austausch – ein Ökosystem. Vielleicht Magie.
Wir bilden dadurch auch ein geistiges Zuhause für viele. Der Theatermensch George Tabori sagte mal:
„Ich bin kein Regisseur, ich bin ein Spielmann. Ich bin grundsätzlich ein Fremdling. Erst hat mich das gestört, aber alle Theatermacher, die ich liebe, waren Fremde. Meine Heimat ist ein Bett und eine Bühne.“
Bühne als Heimat. Das Theater ist ein Zuhause für so viele von uns geworden, oder war es schon immer – ein Schutzraum, ein intersektionaler, diverser Ort von Vielfältigkeit, eine Heterotopie, ein Ort im Ort. Eine andere Welt, in dieser – ein Ort, der sich vor allem und immer wieder dem Fragen zuwendet. Der Liebe zuwendet. Dem Fremden zuwendet. Das Theater bildet einen Möglichkeitsraum, in dem wir uns begegnen können. So wie ich Euch begegnen kann. Jetzt hier.
Aber: Der Bund plant die Kürzung der Kulturfonds um 50 Prozent und die Streichung der Gelder für das Bündnis internationaler Produktionshäuser – diese Ankündigungen haben eine Signalwirkung in die Länder und müssen korrigiert werden – auch nach dem Ampel-Aus!
Die angekündigten Kürzungen von 10% im Berliner Kulturetat für 2025 und 2026 wären ein historischer Rückschritt.
Die Tanztage zum Beispiel in den Sophiensӕlen, ein etabliertes Festival für den Nachwuchs junger Berliner Choreograf*innen, muss schon in der nächsten Ausgabe ihr Programm massiv verkleinern.
Berlin lebt von der kulturellen Vielfalt. Sie sichert gesellschaftlichen Zusammenhalt und Lebensqualität, sie schafft internationale Strahlkraft. Berlin lebt von der Kultur. Sie ist der entscheidende Standortfaktor. Sie ist unsere Schwerindustrie.
Wir appellieren daher entschieden, die geplanten Kürzungen im Kulturbereich auf Bundes- und Länderebene abzuwenden.
Wir sind die Spielmacher*innen, Fremdlinge in dieser Welt, beheimatet in der Parallelwelt der Möglichkeitsräume, die wir für alle bespielen.
Wo ist der Ort, an dem wir uns befreien, wieder erkennen können, inspiriert werden, aufatmen und unsere Gemeinschaft neu und kraftvoller denken lernen?
„Ich werde nicht ersticken am Leisesein“, sagte die Schriftstellerin Inge Müller, die sich aus den Trümmern für die nächste Generation eine Welt erschrieb, die so vielschichtig und traumhaft sein kann, dass ich mich zu ihr legen möchte. Auf die Straßen. Dorthin, wo sie es nicht geschafft hat, die Realität auszuhalten – dort halten wir zusammen. Im Schulterschluss. Wir werden nicht leise sein!
Dafür stehen ich und so viele heute hier. Vielen Dank für diese Bühne und Eure Blicke und diese Wahrheit.