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Gottes Vogel

By Georg Kasch

In ihrer Residenz „SKelly, Sänger, Philosoph, Performer zwischen den Welten erinnern Gintersdorfer/Klaßen an den Grenzen sprengenden Musiker und Performer.


Von Georg Kasch

SKelly ist tot. Was 2021 in Côte d’Ivoire für Aufruhr und Trauer sorgte, war Medien in Deutschland keine Notiz wert. In Westafrika war SKelly ein Star. In Deutschland kannten ihn vor allem Theaterbegeisterte: Hier stand er in vielen Produktionen von Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur auf der Bühne und war an der Musik beteiligt, wie in der Crossover-Inszenierung „Les robots ne connaissent pas le blues oder Die Entführung aus dem Serail“ am Theater Bremen (hier ein Ausschnitt mit Hyojong Kim und Hauke Heumann).

SKellys unterschiedlicher Bekanntheitsgrad sagt viel aus über das ungleiche Verhältnis von Deutschland zu Ländern in Afrika. Auch jenseits politischer und wirtschaftlicher Fragen gibt es immer noch so etwas wie eine Arroganz gegenüber kulturellen Phänomenen aus dem globalen Süden. Gintersdorfer/Klaßen haben das seit ihrer Gründung zum Thema gemacht und den Spieß oft genug umgedreht: Wenn sich Tänzer aus Côte d’Ivoire über mitteleuropäische Hüftsteife und Weltfremdheit lustig machten, dann war das jenseits des Konkreten auch immer eine Dekonstruktion globaler Machtverhältnisse.

Eric Parfait Taregue, so SKellys bürgerlicher Name, starb in der Nacht vom 24. auf den 25. August 2021 völlig überraschend nach kurzer, schwerer Krankheit in Bouaké im Zentrum von Côte d‘Ivoire. Bis zuletzt hatte er an seiner Musik gearbeitet, sich in politische Debatten eingemischt und über spirituelle Fragen nachgedacht. Er war Musiker, Arrangeur, Philosoph und Social-Media-Star, der in einer Weise zu seinen Fans sprach, wie es in dem politisch zerrissenen Land nur wenige taten. Zudem war er ein Künstler, der in seinen Performances die Grenzen der Genres und Kontinente sprengte und ungewöhnliche Synthesen suchte. In Côte d‘Ivoire galt er wegen seiner tiefsinnigen Texte als Philosoph des Couper Decaler, einer Musikrichtung, die schnelle elektronische Beats und virtuose Gesangsanimationen vereint. Erst posthum erschien 2021 sein Album „L’Oiseau de Dieu“ (Gottes Vogel) ,rau und mitreißend, voller einander überlagernder Rhythmen und lautmalerischer Texte.

Wie erinnert man an einen Künstler wie SKelly, der über viele Jahre die Hälfte seiner Zeit in Berlin verbrachte und in Bremen, Bochum, Hamburg arbeitete? „In Côte d’Ivoire ist es üblich, für verstorbene Künstler eine Hommage zu machen“, sagt Monika Gintersdorfer, Choreografin, Regisseurin und Lebensgefährtin SKellys. In diesem Fall erschien das besonders wichtig. Denn ein Großteil seines Werkes ist in Deutschland entstanden, weit weg von seinen ivorischen Fans. Deshalb bemühte sich Gintersdorfer, in ihrer am Berliner Ballhaus angesiedelten Residenz „Skelly, Sänger, Philosoph, Performer zwischen den Welten“ sowohl in Côte d’Ivoire als auch in Deutschland an SKelly zu erinnern.

Am 25. August 2022 jährte sich Skellys Tod zum ersten Mal – Anlass für Gintersdorfer, eine dreitägige Hommage in SKellys Heimatort Konankankro zu organisieren, in dem er auch zum Schluss wieder lebte und wo einer seiner letzten Songs entstand. Hommagen sind in Côte d’Ivoire üblich: Wenn Künstler*innen sterben, treten befreundete Kolleg*innen zu Ehren der oder des Verstorbenen auf. Um der künstlerischen Besonderheit – dem Leben und Wirken auf zwei Kontinenten – gerecht zu werden, hat Gintersdorfer das Konzept zu einem Mini-Festival ausgeweitet. Zum einen gab es die klassische Hommage auf einer Bühne vor SKellys Haus. Dort wurde auch Filmmaterial aus seinen Theaterarbeiten gezeigt, die Knut Klaßen gesammelt und aus der Gintersdorfer eine Auswahl getroffen hatte, außerdem ein Making of zu seinem Song „Ma copine est kpata",einer seiner größten Hits.

Zum anderen gab es eine kleine verlassene Ruine direkt nebenan, die Gintersdorfer mit Helfer*innen aus der umliegenden Community zu einer temporären Ausstellung machte. Drinnen waren Fotos, Kostüme und Texte von SKelly zu sehen. „Es war der Versuch, seine Werke und sein Wirken zusammenzuführen“, sagt Gintersdorfer, „aber auch, eine Art Anwesenheit zu bewahren.“

An outdoor stage in the evening. Large spotlights illuminate it. Around it are two large pavilions under which the audience sits. © Yao Franck Yannick Ake

Für diese Art von Erinnerungsarbeit war die #TakeHeart-Residenzförderung des Netzwerks Freier Theater, die im Rahmen von NEUSTART KULTUR vom Fonds Darstellende Künste vergeben wird, ideal, sagt Gintersdorfer. Denn die Forschungs- und Übersetzungs- war und ist zugleich Trauer- und Erinnerungsarbeit, „die meine letzten zwölf Lebensjahre umfasst“. Die Theater, insbesondere das Ballhaus Ost, an dem die Residenz angesiedelt ist, hätten ihre Situation verstanden, ihr den Rücken gestärkt, Freiraum gegeben. Das war auch deshalb so wohltuend, weil die Arbeit mit den Gruppen Gintersdorfer/Klaßen und LaFleur absolut nervenaufreibend, mitunter zermürbend ist. Beide Gruppen bestehen aus etwa 10 bis 20 Mitgliedern aus Deutschland, Côte d’Ivoire und anderen Ländern des globalen Südens, die versuchen, kontinuierlich miteinander zu arbeiten: „Das ist extrem schwer zu finanzieren!“

Noch schwerer wiegt, dass Genehmigungen für die Künstler*innen aus Côte d’Ivoire und anderen afrikanischen Ländern oft nicht erteilt und manchmal auch kurzfristig wieder entzogen würden. „Der Begriff ‚internationale Zusammenarbeit‘ ist eine Verharmlosung dessen, was wirklich stattfindet“, sagt Gintersdorfer. „Die einen können sich frei auf der Welt bewegen, die anderen nicht. Das ist ein riesiger Unterschied.“ Obwohl es sich um künstlerische Persönlichkeiten mit bedeutenden Karrieren und gültigen Verträgen in Deutschland handelt, kann ihnen jederzeit ein Visum und damit die Einreise verweigert werden. „Diese Ungleichheit erlebe ich seit 20 Jahren, bei jeder unserer Produktionen. Ich hab’s so satt!“ Oft helfen dann nicht mal direkte Kontakte in Konsulate und zu politischen Entscheider*innen. Da ist sie wieder, die Arroganz und Abwehrhaltung – mit schwerwiegenden Folgen für künstlerische Prozesse wie für zwischenmenschliche Beziehungen.

Gerade weil diese Ungerechtigkeit die Künstler*innen so zufällig trifft, ist es Gintersdorfer wichtig, dass die Förderungen auch die umfassen, die nicht anwesend sein können: „Sie sind ja Teil der Recherche, texten, drehen Filme, nehmen Musik auf. Als Gruppe teilen wir ohnehin, was wir haben. Und dank des Streamings kann man die Orte heute auch zusammenbringen.“ Für solche Situationen bedeuten Residenzen eine große Freiheit und Flexibilität, weil sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Auch SKellys Leben und Arbeit war von der Ungleichheit, der westlichen Arroganz betroffen, von Visa-Problemen und mangelnder Anerkennung. Was also bleibt? In Côte d’Ivoire stehen die Chancen gut, dass in Konankankro unweit seines letzten Hauses dauerhaft ein Museum für SKelly entsteht, dank Gintersdorfers Einsatz und ehrenamtlichen Engagements. Außerdem gibt es für 2023 Pläne, in Hamburg eine Ausstellung über SKelly zu zeigen. Es würde die Residenz-Arbeit komplettieren. Auch in Deutschland hatte man bislang nur ein halbes Bild von SKelly. Zeit, dass sich das ändert.

Von der Förderung in den Probenraum und auf die Bühne – die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp besuchen im Rahmen von #TakeHeart des Fonds Darstellende Künste geförderte Projekte.