Konzeptionsförderung 2019

Datum der Jurysitzung: 14. März 2019

Geförderte Vorhaben: 3

Meine Damen und Herren sind ein professionell und in Vollzeit arbeitendes Theaterkollektiv von Bühnenkünstler*innen mit und ohne amtlich bescheinigte „geistige Behinderung“. Mit der Konzeption „Dabeisein ist noch längst nicht alles!“, werden drei Projekte realisiert, die sich auf das Feld der Theaterutopie begeben und dabei theater- und behindertenpolitisch genauso wie ästhetisch neue Akzente setzen. Nicht zuletzt werden auch bisherige Betriebsstrukturen einer kritischen Revision unterzogen. Denn während der Produktion der drei Arbeiten sollen Methoden der gleichberechtigen Zusammenarbeit und Entscheidungsprozesse erprobt werden. „WELT OHNE UNS“ wird eine Kooperation mit dem All-Ages-Performance-Kollektiv Masters of the Universe/SKART, als egalitär-emanzipatorische Zusammenarbeit über Generations- sowie neuronale Grenzen hinweg. Mit „REISE NACH NIRGENDWO“ entsteht eine Langzeit-Stückentwicklung, bei dem erstmalig sämtliche Ebenen eines Stücks kollektiv und basisdemokratisch entschieden werden. Konträr dazu bietet „DER STAAT BIN ICH UND ICH UND ICH!“ als Mini-Festival den Raum für kompromisslos-individuelle Regiearbeiten der Ensemblemitglieder – jedoch mit der Vorgabe, die Aufteilung der Ressourcen gemeinsam auszuhandeln.

Die Konzeption von Herbordt/Mohren umfasst drei aufeinander aufbauende Teilprojekte: „Das Festival“ (2019) inszeniert ein unmögliches Festival in Form eines genre-übergreifenden Parcours. Unmöglich, weil das Publikum tausende Kilometer zurücklegen müsste, um die ursprünglich ortsspezifischen Arbeiten der beteiligten Künstler*innen zu besuchen, weil diese sich erst im Aufbau befinden, längst wieder verschwunden sind, überhaupt niemals existiert haben und sich den Anforderungen des internationalen Festivalbetriebes widersetzen. „Das Schaulager“ (2020) baut eine neue Modellinstitution: eine Forschungseinrichtung, Archiv, Lager und Veranstaltungsort für 1-zu-1-Performances on demand. „Die Gesellschaft“ (2021) inszeniert schließlich die Gründung einer fiktiven Betreibergesellschaft dieser Theaterinstitution en miniature. In Form einer monatlichen Performance-Serie, basierend auf den ‚Spinnerakten‘ – lagernd im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft – werden unter diesem Titel nie realisierte Vorschläge für Institutsgründungen seit 1900 gesammelt. Ziel ist die Verankerung der Kunstanlage ‚Die Institution‘ an einem festen Standort, ihre digitale Erweiterung und die inszenierte Begründung ihrer internationalen Betreibergesellschaft. Gängige Perspektiven des Kuratierens und Begriffe dessen, was Theater, Performance und Musik sein können, sollen erweitert, Handlungsmöglichkeiten auf die gegenwärtige Krise internationaler Solidarität und Gemeinschaft gesucht und ein innovatives Modell der Archivierung und Präsentation von freien darstellenden Künsten erprobt werden.

Die Konzeption SCHON WIEDER: GEBÄREN – SCHAFFEN – VERMACHEN wird die Frl. Wunder AG von 2019 – 21 beschäftigen. Die Dreiheit befragt den Lebenszyklus und seine Verquickung von sozialen Beziehungen mit ökonomisch geprägtem Denken und Handeln in unserer Gesellschaft. Dabei begibt sich das Kollektiv auf Recherchen zur Altersvorsorge, inszeniert das eigene Ableben und zelebriert schließlich einen kollektiven Geburtsnachbereitungskurs. Als feministisches Kollektiv beschäftigt sich die Frl. Wunder AG mit gesellschaftlichen Utopien und den Kräften, die diese hervorbringen. In den letzten 3 Jahren stießen sie dabei immer wieder auf die Frage nach der ungleichen Verteilung gesellschaftlicher Macht. Zugleich nähern sich viele AG-Mitglieder der Mitte ihres Lebens und sehen sich mit neuen Fragen an Fürsorge-Arbeit konfrontiert. Können durch die von künstlerischer Feldforschung, biografischem Zugang und spielerisch-kritischer Performancepraxis geprägte Arbeitsweise neue Visionen von Fürsorgepraktiken und ihrer transformierenden Kräfte entstehen?