Projektförderung (Nov 2019)

Datum der Jurysitzung: 04. Dezember 2019

Geförderte Vorhaben: 16

Alter, insbesondere wenn es weiblich ist, findet kaum Abbildung im öffentlichen Raum. Nach einer Studie der Uni Jena ist Altersdiskriminierung die häufigste Form von Diskriminierung, noch vor Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe. Diese Theaterarbeit gibt dem Altsein eine Plattform und macht sich auf die Suche nach individuellen und paradoxen Altersbildern.

Der „extrem gemischte Chor“ ist ein multiprofessionelles, -ethnisches und intergenerationales Gesangskollektiv. Mit den Zuschauer*innen erprobt es – durch eine immersive Lautsprecher-Landschaft wandelnd – sprechend, singend und schweigend die Möglichkeiten einer radikalen Passivität in Anbetracht elektronischer Dauerbeschallung. Wird Musiktheater so zum Übungsort für eine Gesellschaft jenseits des Spektakels werden und wann wird Mitsummen zu einer Form der Teilhabe?

In der fiktionalen Rahmung dieser Produktion wird geprüft, wie heutige Schwarze Deutsche Identität erfasst werden könnte – würden die Vertreter*innen der SDW (Boney M, Roberto Blanco, Arabella Kiesbauer...) als maßgeblich bei der Konstruktion ihres Bildes ernst genommen und der Rolle als stigmatisierte und exotisierte Entertainer*innen enthoben. Durch eine genuin-seriöse Auseinandersetzung sollen die Akteur*innen einerseits im deutschen Medienkanon sichtbar und festgeschrieben, andererseits rassistische Inszenierungsmechaniken dahinter entlarvt werden.

Wo finden sich Erzählungen, die nicht in Geschichtsbüchern auftauchen, aber beispielhaft für zivilgesellschaftliches Engagement stehen? Ausgehend von der Widerstandsgeschichte Else Jochems, die als Seifenhändlerin ihre Ware in Flugblätter wickelte und diese so unter die Leute brachte oder zu Konzentrationslagern fuhr, um den Inhaftierten Koteletts durch den Zaun zu reichen, soll eine Brücke vom Antifaschismus in Oberhausen während des Nationalsozialismus ins Hier und Jetzt schlagen. Welche Akteur*innen finden sich heute?

Die bürgerliche Mitte als Zentrum der Gesellschaft hat sich entleert. Die Armen werden ärmer und die Reichen reicher. Gerade Menschen mit Vermögenshintergrund sind durch den mangelnden Zwang, Geld zu verdienen, und den Rückzug in die privatisierten Versionen vormals staatlicher Institutionen (z. B. Privatschulen) davon bedroht, aus dem gesellschaftlichen Gefüge herauszufallen. Club Real will die leere Mitte wieder füllen. Integrationsmaßnahmen sind gefragt – aber diesmal nicht als Repression für Hartz IV-Empfänger, sondern für die, die sich oft hinter hohen Mauern verstecken.

Überall auf der Welt wandern Millionen Menschen in andere Länder aus, zu arbeiten. Erforscht wird dieses Thema am Beispiel vietnamesischer Auswanderer in Deutschland und Taiwan. Zu Wort kommen junge, hoffnungsvolle Menschen ebenso wie illegale Einwanderer oder ehemalige DDR-Vertragsarbeiter. Was erzählt diese Migration über die einzelnen Gesellschaften, ihre Brüche und Probleme, und über die globale Gemeinschaft?

„Jede Gruppe, die ich frage, findet die Welt erschreckender, gewalttätiger und hoffnungsloser, als sie wirklich ist. Es gibt keinen Platz für Tatsachen, wenn unser Geist von Angst besetzt ist.“, sagt Hans Rosling, Professor für globale Gesundheit. Meyer&Kowski will unseren Orientierungssinn neu kalibrieren, um gleichzeitig informiert UND angstfrei (sic!) durch die Ambiguität der Gegenwart zu navigieren. Ob wir gemeinsam essen, trinken, tanzen, schlafen oder Boot fahren: immer treffen Fakten auf Darstellung, auf realen Ort, auf Zuschauergemeinschaft.

Die Konzert-Performance folgt der dramaturgischen Idee einer Oper, bewegt sich kaleidoskopähnlich zwischen Musik, Theater und Bildender Kunst. Sie ist komponiert für NAFs 6 Meter langes Keyboard namens 392, und 8 Gastmusiker*innen. Damit verknüpft der Abend Formate und führt Beschäftigungen mit Geschlechter- und Rollenkonstruktionen sowie deren Auswirkungen auf die hegemonialen Strukturen unserer Zeit weiter.

Ausgangspunkt dieser Produktion ist ein Hörspiel, das Ende 2019 im Deutschlandfunk Premiere hat und nun für die Bühne überschrieben werden soll. Im Zentrum steht ein syrischer Mann, der von sich enttäuscht ist und Halt in der Beziehung zu einer deutschen Frau in Deutschland sucht. Beide Figuren hadern mit den Zuschreibungen von Männlich- und Weiblichkeit in ihrem jeweiligen soziokulturellen Kontext, beide bewegen sich im Teufelskreislauf, beide versuchen mithilfe des Anderen die Abwärtsspirale zu verlassen.

Wie gehen Traumatisierte mit dem Erlebten um? Wie verändert sich ihre Körpersprache? Wie integrieren sie das Geschehene in ihre eigene Geschichte? Der Körper hat physisch, emotional und psychologisch unterschiedliche Möglichkeiten, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. Das Projekt untersucht, wie das Individuum mit seinen Coping-Strategien einen Weg aus der Erfahrung des Leids in die Selbstermächtigung beschreiten kann.

Auf St. Pauli zeigt sich beispielhaft die Überschneidung von queerer Entertainment-Kultur, die zur kulturellen Identität der Stadt beiträgt, und der Underground-Economy, die vielen von Diskriminierung betroffenen Menschen überhaupt erst eine wirtschaftliche Grundlage bietet. Das Kollektiv schreibt das norddeutsche Kaufmannsepos „Buddenbrooks“ fort und arbeitet dabeimit queeren Überzeichnungen von Schauspiel- und Tanz-Stilen, kanonischen Texten und Songs, die das aufklärerische (und befreiende Potenzial) queerer Performance zeigen. Das einbezogene Publikum ist dabei in einer emanzipierten und reflektierenden Position.

SHOW ME A GOOD TIME stellt sich dem Paradox einer Welt im Zusammenbruch, während wir alle unserem Alltag nachgehen als sei nichts passiert. Jeden Tag erreicht uns eine Auswahl erschreckender Nachrichten, bereit angeklickt zu werden, um irgendwo die Werbeeinnahmen zu erhöhen. Im digitalen Bilder- und Informationsrausch inszenieren Gob Squad eine performative Uhr, die uns die letzte Stunde schlägt und uns mit der Frage konfrontiert: Womit füllen wir unsere Zeit?

Dieses Stadtraumprojekt hat sich dem sehr unwahrscheinlichen Ziel verschrieben, in Frankfurt einem Exemplar des größten lebenden Säugetiers zu begegnen. In Form einer Stadtführung mit Expert*innen und Künstler*innen steht das Projekt ganz im Zeichen der Suche, der Observation, der Aufmerksamkeit mit dieser immer einhergehenden Hoffnung. Doch auch (massen-)touristisch genormte Formen der Naturerfahrung sollen auf diese Weise kritisch analysiert und überschrieben werden.

Womit werden wir konfrontiert, wenn wir versuchen, den Individualismus in unseren Körpern aufzubrechen? Zeigt sich ein utopisches Potenzial, das auf ein veränderbares Verhältnis zwischen Körper, Natur und Gesellschaft weist? Im Kontext der Klimakrise begreift das Projekt den Körper als explizites Bindeglied zwischen Natur und Zivilisation und will dazu beitragen, dass das Eintreten für das Klima von einer substanziellen körperlichen Betroffenheit aus begriffen wird.

„What is left“ ist die abschließende Produktion der Trilogie „Geometrie und Politik“. Das Ineinandergreifen von Politik und (Raum-)Geometrie steht im Vordergrund: Welche Rolle spielen Architektur und räumliche Anordnungen im politischen Kontext und wie beeinflussen sie gesellschaftliche Machtstrukturen? Wie können diese Beobachtungen choreografisch-dramaturgisch für einen performativen Raum umgesetzt werden?

Die bei den Frankfurter Auschwitzprozessen auf Tonband aufgenommenen Zeug*innenaussagen ehemaliger Lagerinsass*innen dienen als Ausgangsmaterial für die Performance und die Auseinandersetzung mit der Frage: Wie gelingt heute und künftig ein Reden über Auschwitz? Dabei wird ein Stimmkaleidoskop aus Aussagen, Interviews mit FrankfurterBürger*innen und Reden heutiger Politiker*innen komponiert und so ein Raum geschaffen, der das Hinhören ermöglicht.