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Stärkung der Kultur als Stärkung der Demokratie

By Thomas Kaestle

Das Kulturpolitische Metalabor „Transformationen von Publika und Kulturlandschaft“ im Rahmen des zweiten B.A.L.L. – Bundesweites Artist Labor der Labore auf Kampnagel in Hamburg.

„Die Transformation von Publika ist eines der entscheidenden Themen in der deutschen Kulturlandschaft“, sagt Amelie Deuflhard in ihrer Anmoderation des Kulturpolitischen Metalabors, mit dem der Fonds Darstellende Künste den zweiten Tag seines B.A.L.L. – Bundesweiten Artist Labors der Labore beginnt. Und da es manchmal hilft, komplexe Sachverhalte knackig und einprägsam herunterzubrechen, fügt sie hinzu: „Wir dürfen nicht auf einer kleinen, weißen Elite hängenbleiben.“ Später sagt Anne-Cathrin Lessel an einem von mehreren runden Tischen: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wenn sich viele Menschen nicht gesehen fühlen, werden irgendwann nur noch wenige ins Theater kommen.“

Deuflhard und Lessel vertreten dabei zunächst Praxisperspektiven aus zwei großen Häusern: als künstlerische Leiterinnen von Kampnagel in Hamburg und LOFFT – DAS THEATER in Leipzig. Sie stehen aber noch in einer weiteren Rolle auf der Bühne, da sie zugleich gemeinsam mit Wolfgang Schneider den aktuellen Vorstand des Fonds bilden. Zu dessen Auftrag gehört es, regelmäßig bundesweite Blicke auf Zustände und Notwendigkeiten in den Freien Darstellenden Künsten zu werfen sowie eine Verantwortung für diese – und damit auch immer wieder für Themen der ganzen Gesellschaft – zu artikulieren. Zuletzt unternahm der Fonds dies öffentlich mit dem Dokumentarfilm „DENNOCH!“ und dessen diskursiv begleiteter Tournee durch die Bundesländer.

Nebeneinander: Hase und Igel, Henne und Ei

Kulturpraxis und kulturpolitische Rahmensetzungen stehen dabei immer wieder nebeneinander wie Hase und Igel, wie Henne und Ei – aber eben auch wie Kunst und Gesellschaft. Wer ist zuerst da? Wer prägt die Fragestellungen? Wer beeinflusst wen? Wer fordert wen heraus? Was gelingt nur in der Durchdringung, was nur in der Auseinandersetzung?

Transformationen der Publika sind im Setting von B.A.L.L. und Kulturpolitischem Metalabor als gegeben vorausgesetzt, als in vollem Gange beschrieben. Hier steht zunächst die Frage nach einem angemessenen und notwendigen kulturpolitischen Umgang damit im Raum. „Den Freien Darstellenden Künsten werden starke Transformationskräfte zugeschrieben und sie haben schon längst das Publikum produktiv zerlegt: In viele Publika, Expert*innen des Alltags, Kunst als inklusiven Prozess der Vielen und als Versammlung.“ So steht es in der Ankündigung des Fonds.

Nun ist die Frage nach neuen Publika ein Dauerbrenner in allen Disziplinen. Sie wurde jedoch nie zufriedenstellend beantwortet. In einer offenen, dynamischen Gesellschaft sieht sie sich nämlich immer wieder mit neuen Zusammenhängen und damit neuen Herausforderungen konfrontiert. Deuflhard spricht auf dem Podium Hilmar Hoffmanns Buch „Kultur für alle“ an, in dem er einen sich in den 1970er Jahren entwickelnden Anspruch zusammenfasste. „Hatte sich damit das Thema Klasse in der Kultur erledigt?“, fragt sie. Und gibt selbst die Antwort: „Keinesfalls.“ Zudem steht in Hoffmanns Buch wörtlich, es gehe ihm um „jede Kultur für alle“ – in den heutigen Debatten würde er wohl entsprechend den Standpunkt der Integration oder gar einer „Leitkultur“ vertreten, in Abgrenzung zu einer selbstbewusst betonten Diversität, die nicht alle gleich macht, sondern allen gleichwertige Möglichkeiten verschafft.

Barrieren in Köpfen: Teilhabe und Grundrechte

Die Fragen, die sich seit „Kultur für alle“ etabliert haben, wiederholen sich: Für wen macht wer was? Wer wird bewusst mitgenommen, wer nicht, wer kommt trotzdem? Wer repräsentiert wen, wer kann das und wer darf das? Auf mehr als einem Bundestreffen von Fonds und bundesweiten Akteur*innen der Freien Darstellende Künste stand zu Beginn ein Innehalten: Wer ist gerade nicht hier und warum eigentlich? Die Nichtbesucher*innen-Forschung hat in Jahrzehnten ganze Institute hervorgebracht. Warum ist es also trotzdem wichtig, dass die Freien Darstellenden Künste schon wieder nach den Publika fragen? Weil alle Akteur*innen eigene Lösungen, Ansprüche und Forderungen mitbringen, weil sie fortgesetzt neue Erfahrungen machen. Und weil gerade die Freie Szene exemplarisches Labor sein kann, sich für Debatten und Beispiele anbietet – aktuell, dynamisch und offen.

Das zeigt auch der Input von Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Die Teilhabe von Menschen in ihrer Vielfalt sei ein großer Wert: „Demokratie braucht Inklusion, sonst ist es keine Demokratie.“ Jede*r Sechste in Deutschland sei ein Mensch mit Beeinträchtigung: „Kommen die noch ins Theater rein?“ Bei Barrierefreiheit gehe es um mehr als eine Rampe. „Wie gelingt es, dass Menschen ihre Kunst ins System einbringen?“, fragt Dusel. Er präzisiert: „Wie soll ein Mensch Musik machen, wenn er nicht einmal in eine Musikschule reinkommt?“ Die Strukturen des Kultursystems seien nicht barrierefrei, auch nicht in den Köpfen. Dabei sei das nicht verhandelbar, so Dusel: „Es geht um die Umsetzung von fundamentalen Grundrechten.“ Er empfiehlt Menschen mit Beeinträchtigungen als Expert*innen in eigener Sache: „Wir müssen Barrierefreiheit partizipativ denken.“

In the left half of the picture is Aniko Glogowski-Merten. She has brown chin-length hair. Jürgen Dusel is sitting next to her. He is wearing a white shirt and a dark jacket. He has short dark hair. Both are looking in the direction of a person whose outline appears in the blur in the front right half of the picture. © Alexandra Polina

Kultur und Gesellschaft: Selbstverständlichkeit von Zugängen

Anikó Glogowski-Merten, kulturpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, kommentiert: „Wir kämpfen doppelt – Inklusion und Kultur werden beide von vielen Menschen nur als nice to have betrachtet.“ Der Bund könne immer nur Impulsgeber sein, zum Beispiel in eigenen Einrichtungen oder Strukturen. Es müsse da eben immer um nationale Tragweite gehen. Zugleich ist sie sich sicher: „Wenn wir bestimmte Probleme in der Kulturpolitik nicht ansprechen, finden Gespräche darüber anderswo gar nicht statt.“ Glogowski-Merten plädiert für eine Stärkung der Kultur als Stärkung der Demokratie, für frühkindliche kulturelle Bildung, einen diverseren Kunst- und Kulturbegriff sowie für Zugänge zu Kultur für Kinder und Jugendliche in der Schule und an dritten Orten.

Helge Lindh, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, weist auf Haushaltskürzungen in den Ländern hin: „Dann machen wir die soziale Lage besser, aber für weniger Menschen – Menschenrechte sind zu teuer, Inklusion findet nicht statt.“ Auch er sieht Bundeseinrichtungen und vom Bund geförderte Institutionen in der Pflicht, voranzugehen. Zugleich appelliert er an alle Kulturorte als „Orte der Demokratie, guter Arbeitsverhältnisse, großer Offenheit“, Inklusion und Barrierefreiheit trotz schwieriger finanzieller Bedingungen nicht als schicken Zusatz zu betrachten oder sich gar damit zu schmücken: „Wenn das zur Selbstverständlichkeit wird, verändert es auch die Kunst selbst.“ Dusel stimmt ihm zu: „Wir lernen nur in der Begegnung, im Dialog – Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen begegnen sich aber zu selten.“

Zwischen Kunst und Geld: Diversifizierung von Jurys

Wolfgang Schneider, Vorstandsvorsitzender des Fonds und emeritierter Professor für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim, moderiert nach dem Panel mit Perspektiven aus der Bundespolitik Impulse von Vertreter*innen der Länder. Nachdem die Mitglieder der Bundestagsfraktionen zuvor mehrfach ihre eingeschränkten Handlungsoptionen beklagt hatten, kritisiert Schneider seinerseits „das Unwort von der Kulturhoheit der Länder, das nirgendwo juristisch abgesichert ist“. Wenn man sich aber darauf einlasse, ergebe sich ein hoher Anspruch, den die Länder dann auch erfüllen müssten. Er fragt seine Gäste: „Was können die Länder?“

Miriam Agritelli, Leiterin des Förderreferats der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt in Berlin, berichtet von den Bemühungen, nicht nur Fördergelder zu erhöhen, sondern auch die Zugänge zu ihnen zu verbessern: „Jurys sind als Verbindung zwischen Künstler*innen und Geld eines unserer wichtigsten Themen.“ Seit zwei Jahren biete sie freiwillige Workshops mit dem Büro für Diversitätsentwicklung Diversity Arts Culture an. Es gelte, in Jurys Betroffenheitsperspektiven abzubilden. „Das ist eine Kette,“ sagt sie, „diverse Produktionen schaffen diverses Publikum.“ Genauso wichtig sei es, nicht nur herauszufinden, wer nicht gefördert wird, sondern wer erst gar nicht beantragt. Mit einer Sonderförderung versuche man außerdem seit drei Jahren, einen Ausgleich bis zur Diversifizierung des Systems zu schaffen. Das sei aber wohl noch ein langer Weg.

Mehr davon: Strukturen, Kommunikation und Vermittlung

Ein Gegenbild zur Berliner Situation zeichnet Nicole Nikutowski, Referentin im Landesverband Freie Darstellende Künste in Brandenburg – einem Flächenland mit deutlich weniger Akteur*innen und geringeren Fördermitteln, aber mit Budgeterhöhungen, neuen Förderformaten und festgeschriebenen Honoraruntergrenzen. Der Landesverband hatte bei der Politik aktiv geworben, vor allem auch, um mehr Publikum in der Fläche erreichen zu können, neue Spielorte zu erschließen. „Unsere Mitglieder leben davon, mobil zu sein, machen das aber in anderen Bundesländern, weil es in Brandenburg keine Strukturen gibt“, sagt Nikutowski. In der Zusammenarbeit mit den Landkreisen soll sich das nun ändern.

Auch Bijan Kaffenberger, Co-Vorsitzender des Forums Kunst und Kultur der SPD Hessen, wünscht sich mehr und bessere Kommunikation zwischen Akteur*innen aus Kultur und Politik: „Kulturpolitik hat oft zu wenig Einblicke.“ Er selbst stehe bei Rimini Protokolls Stück Chinchilla Arschloch, waswas auf der Bühne und sei froh, als Mensch mit Tourette Kulturpolitik betreiben zu können: „Ich bin eben nicht Inklusions-Sprecher – gut so!“ Kaffenberger plädiert für mehr Vermittlungsangebote im Theater und mehr Diversität in Führungspositionen: „Das Theater kann Vorbild sein für andere in der Kulturlandschaft.“ Das gelte auch für mehr Transparenz im Förderdschungel: „Wir haben eine hohe Dunkelziffer von Kulturschaffenden, die wir noch gar nicht erreichen.“

Four people are sitting on a stage in a panel discussion. On the right, a man in a suit speaking into a microphone. To his left, a woman, a man and another woman listen intently. © Alexandra Polina

Jürgen Dusel (Federal Government Commissioner for the Affairs of People with Disabilities), Anikó Glogowski-Merten (Member of the Bundestag, cultural policy spokesperson for the FDP parliamentary group), Helge Lindh (Member of the Bundestag, cultural policy spokesperson for the SPD parliamentary group) and Amelie Deuflhard (Kampnagel) in conversation.

Mehr davon: Strukturen, Kommunikation und Vermittlung

Ein Gegenbild zur Berliner Situation zeichnet Nicole Nikutowski, Referentin im Landesverband Freie Darstellende Künste in Brandenburg – einem Flächenland mit deutlich weniger Akteur*innen und geringeren Fördermitteln, aber mit Budgeterhöhungen, neuen Förderformaten und festgeschriebenen Honoraruntergrenzen. Der Landesverband hatte bei der Politik aktiv geworben, vor allem auch, um mehr Publikum in der Fläche erreichen zu können, neue Spielorte zu erschließen. „Unsere Mitglieder leben davon, mobil zu sein, machen das aber in anderen Bundesländern, weil es in Brandenburg keine Strukturen gibt“, sagt Nikutowski. In der Zusammenarbeit mit den Landkreisen soll sich das nun ändern.

Auch Bijan Kaffenberger, Co-Vorsitzender des Forums Kunst und Kultur der SPD Hessen, wünscht sich mehr und bessere Kommunikation zwischen Akteur*innen aus Kultur und Politik: „Kulturpolitik hat oft zu wenig Einblicke.“ Er selbst stehe bei Rimini Protokolls Stück Chinchilla Arschloch, waswas auf der Bühne und sei froh, als Mensch mit Tourette Kulturpolitik betreiben zu können: „Ich bin eben nicht Inklusions-Sprecher – gut so!“ Kaffenberger plädiert für mehr Vermittlungsangebote im Theater und mehr Diversität in Führungspositionen: „Das Theater kann Vorbild sein für andere in der Kulturlandschaft.“ Das gelte auch für mehr Transparenz im Förderdschungel: „Wir haben eine hohe Dunkelziffer von Kulturschaffenden, die wir noch gar nicht erreichen.“

On a stage, several round tables are arranged, at which people are sitting, talking to each other. In the background hangs a projection screen on which "Table Talks" is written. © Alexandra Polina

Jenseits des Urbanen: Nahversorgung und Einflussnahme

Im Rahmen von Gesprächen an mehreren runden Tischen auf der Bühne hat das Publikum schließlich Gelegenheit, sich aktiv einzubringen und die eigene Heterogenität zu erleben, von den diversen Perspektiven aus Praxis, Theorie, Politik, Verwaltung und Verbänden der jeweils anderen zu profitieren und vor allem auch Erfahrungen von Teilnehmer*innen der Labore zu hören. Es bleibt bei einem kollektiven Brainstorming ohne Zusammenfassungen, die in den für alle zugänglichen Diskurs einfließen würden: ein Gesprächsintermezzo als Durchlauferhitzer und Vernetzungsangebot. „Es gibt viele gute Beispiele, ohne dass wir gegenseitig davon wissen“, sagt Helge-Björn Meyer, Geschäftsführer des Bundesverbands Freie Darstellende Künste, am von ihm moderierten Tisch.

Meyer betont die Bedeutung der Frage nach den Publika auch für seinen Verband, gerade bei Mitgliedern, die in ländlichen Räumen kulturelle Nahversorgung leisten. Annika Stadler, die für einen Kulturverein in einem Brandenburgischen Dorf arbeitet, nimmt ein deutliches Gefälle zwischen urbanen und ländlichen Räumen wahr – andere Strukturen führten zu unterschiedlichen Ansprüchen und Anforderungen. Winfried Wrede, künstlerischer Leiter des Netzwerks flausen+, gibt zu bedenken, wie wichtig Bündnisse gerade in kleineren Orten seien – und wie groß der Einfluss der Kommunalpolitik auf kleine Theater sein könne. Wahlerfolge von rechtspopulistischen Parteien könnten in so einer Situation schnell zur Gefahr für Diversität werden.

Weiter denken: Sozialpolitische Verantwortung für alle

Sabine Bangert, Vorsitzende der Radial Stiftung Berlin und ehemalige Kulturausschussvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, fragt nach der Rolle des Fonds bei innovativen Prozessen – und wie weit es möglich wäre, das föderale System aufzubrechen: „Wäre es denkbar, bestimmte Theaterinstitutionen in Ländern und Kommunen modellhaft zu fördern und zu stärken und sie dabei für die Freie Szene zu öffnen?“ Isa Edelhoff, Theaterreferentin bei der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien, fragt, wie mit einer radikalen Öffnung eines Hauses für Communities umzugehen sei, wenn diese es dabei für sich instrumentalisieren: „Sollen auch dubiose Haltungen unreflektiert eine Bühne bekommen?“ Sie fragt dabei auch nach der Verantwortung von Kulturinstitutionen.

Teresa Monfared, Leiterin der Geschäftsstelle des Szenografie-Bunds und Vorstandsreferentin des Vereins Bühnenmütter, erinnert an Menschen in Sorge-Verpflichtungen und fragt bezüglich Zugangsschranken: „Ist die Care-Barriere eigentlich mitgedacht?“ Es gehe darum, einen Haltungswechsel gesamtgesellschaftlich zu denken, die Aufgabe von Kunst und Kultur sei es aber, Utopien zu erschaffen, die gesellschaftliche Transformationen inspirieren können. Holger Bergmann erläutert auf die Frage, ob Kinderbetreuung förderfähig sei, es gebe eine erweiterte Reisekostenförderung für Alleinerziehende. Er stimmt Monfared zu: „Wir sind an einem Punkt, an dem wir in der Kultur viele gesellschaftliche Fragen thematisieren müssen.“ Zugleich gibt er zu bedenken: „Wir sollten Debatten nicht auf den Kulturbereich verengen, nicht für uns Bedingungen besser gestalten als für den Rest der Gesellschaft.“ Sozialpolitische Verantwortung gelte auch für Menschen an Discounterkassen.

Faktor Zeit: Aushalten und Aushandeln

Beim abschließenden Panel fragt Anne-Cathrin Lessel Vertreter*innen aus kommunalen Kulturverwaltungen nach Erfahrungen und Beispielen vor Ort. Marc Gegenfurtner, Leiter des Kulturamts in Stuttgart, erläutert, warum er sich einmal als „städtischen Hauptkurator“ bezeichnete: „Dabei geht es ums Kümmern, der Kurator leitet sich ja vom lateinischen Verb curare ab – ich will Institutionen und Strukturen zukunftsfähig machen und dafür sensibilisieren.“ Verwaltungsstrukturen seien sehr reaktiv, komplexe Themen müssten die Menschen jedoch erreichen. „Es kann ein dickes Brett sein, Dinge zu implementieren“, so Gegenfurtner. Einer dynamischen Freien Szene stünden oft trägere Institutionen gegenüber. Barbara Foerster, Leiterin des Kulturamts in Köln, schlägt Synergien vor, um ein anderes Publikum in den Institutionen zu ermöglichen: „Die Szene bringt ihr Publikum mit.“

Lessel fragt schließlich nach der Dauer von Transformationsprozessen: „Die brauchen Zeit – aber eigentlich haben wir doch gar keine?“ Katharina Wolfrum vom Kulturreferat in München plädiert dennoch dafür, Entwicklungen und Prozesse, Eigendynamik und Ergebnisoffenheit zuzulassen: „Zeit für Miteinander und Austausch ist wesentlich.“ Foerster wünscht sich „Offenheit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen“. Und auch Gegenfurtner hält „Geduld im Aushandeln“ für eine Bedingung nachhaltiger Kulturentwicklung. Abschließend ließe sich angesichts solcher Statements nach den Ansprüchen an Prozesse und ihre Ergebnisse oder Erfolge fragen: Wann ist eine Transformation abgeschlossen? Muss oder kann sie das überhaupt irgendwann sein? Mit Sicherheit wird auch die geführte kulturpolitische Debatte nie ein Ende finden. Sie lebt von immer neuen Positionen immer neuer Akteur*innen – Heterogenität ist wesentlich für einen lebendigen Diskurs über Diversität, Inklusion, Teilhabe, Transformation, Erweiterung und Vervielfältigung von Publika.

Nochmal: Was ist sicher? Was bleibt fraglich?

Sicher ist: Austausch ist zentral. Sicher ist: Bund, Länder und Kommunen sollten in der Kulturförderung besser zusammenarbeiten. Sicher ist: Neue Akteur*innen in alte Strukturen einzuladen, ist nicht nachhaltig. Sicher ist: Wir brauchen Impulse und Anschubförderungen für neue Rahmensetzungen, neue Strukturen und neue Initiativen. Sicher ist: Diese kann niemand für andere definieren und ausgestalten, ohne die Betroffenen einzubeziehen. Sicher ist: Ohne Expertise und Erfahrung geht es nicht. Sicher ist: Ohne Offenheit für Anderes, Neues und Unvertrautes geht es eben auch nicht. Sicher ist: Jede Art von „Leitkultur“ hat in den Freien Darstellenden Künsten keinen Platz.

Fraglich bleibt: Brauchen neue Publika neue Akteur*innen? Fraglich bleibt: Wie lässt sich Raum für neue Akteur*innen schaffen, ohne die alten zu verdrängen? Fraglich bleibt: Wie lassen sich neue Akteur*innen finanzieren, ohne die Existenzen der alten zu gefährden? Fraglich bleibt: Wie gehen Kontinuität, Nachhaltigkeit und Resilienz ohne Rechthaberei?

Sicher ist: „Wir dürfen nicht auf einer kleinen, weißen Elite hängenbleiben.“ Siehe oben. Repeat.