KONFIGURATION - Kick-off workshop

A joint workshop at the 4th German Figure Theater Conference in Northeim on August 24, 2019 with all funded artists* opened the program KONFIGURATION - a review.

During the panel discussion on the topic of "Digital Worlds on Stage," host Alice Therese Gottschalk from the FAB Theater got into conversation with Michael Krauss, Markus Joss, Christian Fuchs, and the Düsseldorf artist duo half past selber schuld (Sir Ladybug Beetle and Ilanit Magarshak-Riegg) associated with the Fund's special program about artistic experiences with digital means as well as related methods of analysis and training in the field of figure and object theater. In addition, the workshop offered the artists and groups of the special program the opportunity to get to know each other and to engage in exchange. Representatives of the funded projects gave insights into their projects by means of pictures, objects brought along and first experimental setups and thereby thematically as well as aesthetically took up the broad spectrum of the scene: Thus, not only social questions regarding the challenges and effects of an increasing digitalization of society were touched upon and future scenarios were imagined, but also the exploration of technical possibilities regarding figure construction and stage interaction were brought into focus.

Dr. Dr. Albrecht Fritzsche, innovation researcher at the University of Erlangen-Nuremberg, also examined in his keynote speech how figure theater can answer the question of what it means to be human in the digital world. In doing so, he oriented himself to current considerations in the philosophy of technology and pointed out references to engineering, where work with figures also plays an important role today.

Keynote (in German)

I.
Innovationsforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie das Neue in die Welt kommt und was es dort anrichtet. An dieser Frage sind viele unterschiedliche akademische Disziplinen interessiert, von der Soziologie über die Ökonomie bis hin zu den Ingenieurswissenschaften. Seit einigen Jahren rückt die Innovationsforschung zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit, was vor allen Dingen an der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft liegt. Die Durchdringung aller Lebensbereiche mit technischen Geräten, die ständig Daten erzeugen, austauschen und verarbeiten, verändert nämlich die Ausgangsbedingungen für Innovation und ermöglicht Gestaltungsvorgänge, die früher undenkbar waren und deren Tragweite wir heute erst langsam zu verstehen beginnen. (1)

Bisher wurde Innovation üblicherweise in Zusammenhang mit einer technischen Erfindung thematisiert, wie zum Beispiel der Dampfmaschine, dem Auto, dem Telefon oder dem Computer. In der digi-talen Welt haben wir es jedoch oft mit Entwicklungen zu tun, bei denen ein solcher Zusammenhang nicht offensichtlich ist. Facebook und andere soziale Netzwerke sind zweifellos innovativ. Die Geräte, auf denen sie betrieben werden, können das aber nur unzureichend erklären. Ähnliches gilt für Online-Marktplätze wie Amazon oder Mobilitätsplattformen wie Uber. Sie zeichnen sich weniger durch eine geniale Ingenieursleistung aus, sondern vielmehr durch die zielführende Gestaltung von Interaktion zwischen Menschen, Maschinen und anderen Menschen. Der Mehrwert von Navigationssystemen und intelligenter Haustechnik beruht ebenfalls zu einem wesentlichen Teil auf der Art, wie Interaktion zwischen verschiedenen Systemelementen gestaltet ist, und nicht nur auf der Leistung der einzelnen Elemente selbst: die Landkarte im Navigationssystem wird durch Stauinformationen angereichert, die zwischen allen eingeschalteten Geräten geteilt werden; der Heizungsthermostat im so genannten „Smart Home“ lernt von den Verhaltensweisen der Bewohnerinnen und Bewohner, wie er sich einzustellen hat. Innovation in der digitalen Welt wird also durch Vernetzung und durch Anwendungsbezug vorangetrieben. Dies führt zu einer anderen Art von Technik als der, mit der wir es bisher zu tun hatten. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, kann das Figurentheater einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Art von Technik besser zu verstehen.

II.
Überlegungen zu Figuren und Technik führen schnell zum Begriff des Roboters, der im produzierenden Gewerbe bereits eine lange Erfolgsgeschichte hinter sich hat. Im Zeitalter der Digitalisierung erobern Roboter auch andere Anwendungsfelder, bei denen es mehr Bezugspunkte zum Spiel auf der Theaterbühne gibt (Schraft und Volz 1996). Ein Beispiel dafür ist der Einzelhandel, wo heute schon humanoide Roboter zur Kundenansprache eingesetzt werden (Bertacchini et al. 2017; Grewal et al. 2017). Sie weisen auf besondere Angebote hin, geben Auskunft oder dienen einfach nur zur Unterhaltung. An Flughäfen übernehmen sie ähnliche Funktionen. Die Beweglichkeit der Roboter im Raum vermittelt dabei den Eindruck von Autonomie. Diese Autonomie betrifft aber nur ihre Verortung. Aus Sicht der Informationstechnologie trifft eher das Gegenteil zu. Um ihre Funktion erfüllen zu können, sind die meisten Roboter alles andere als autonom. Sie sind auf einen permanenten Austausch von Daten mit anderen technischen Einheiten angewiesen. Wo keine Kabel vorhanden sind, geschieht dies über drahtlose Verbindungen. Auch wenn der Roboter keine Marionette ist, gibt es gewissermaßen einen „digitalen Faden“, an dem er geführt wird.
Der Einsatz des Roboters anstelle eines Menschen verändert nicht nur Effizienz und Effektivität der Informationsvermittlung, sondern schafft darüber hinaus neue Bedingungen für Kommunikation. Dass man es dabei nur noch mit einer Maschine zu tun hat, muss nicht unbedingt eine Einschränkung bedeuten. Manches, was man einem Menschen niemals ins Gesicht sagen würde, lässt sich gegenüber dem Roboter leichter äußern. Umgekehrt sind Anweisungen, die von einem Roboter kommen, unter Umständen leichter zu akzeptieren als Anweisungen eines Menschen. Infolgedessen können im Umgang mit der Maschine ganz andere Interaktionsszenarien gestaltet werden, als dies bisher der Fall war, in klassischen Dienstleistungsberufen und weiteren Anwendungsfeldern, bis hin zur Kriegsführung (z.B. Bartneck und Forlizzi 2004; Mast et al. 2015; Khurshid und Bing-Rong 2004).
Wer sich mit Figurentheater beschäftigt, ist mit solchen Phänomenen natürlich gut vertraut. Tatsächlich lassen sich bei der Arbeit mit Robotern in der digitalisierten Welt noch viele andere Elemente der künstlerischen Auseinandersetzung mit Figuren wiedererkennen (z.B. Sakashita et al. 2017; Fritsche et al. 2015). Immer müssen grundsätzliche Fragen der Beweglichkeit und Steuerbarkeit geklärt werden. Ebenso spielt auch die äußere Gestaltung der Figur in der Interaktion mit Menschen immer eine Rolle. Aktuelle Beiträge zur Roboterforschung befassen sich außerdem mit der Ansprache spezieller Zielgruppen, der Einbeziehung des Publikums und der Umsetzung komödiantischer Formate, wobei viele Begriffe und Methoden aus dem Theaterspiel aufgegriffen werden (z.B. Walters et al. 2013; Mikalauskas et al. 2018; Nijholt 2018).
Löst man sich nun von der Vorstellung eines humanoiden Roboters und betrachtet andere digitale Geräte, so bleiben dennoch viele der eben diskutierten Aspekte des Figurentheaterspiels relevant. Auch die freundliche Stimme des Navigationssystems hängt auf ihre Weise an einem digitalen Faden, der von außen bestimmt, welche Anweisungen sie zu geben hat. Auch sie wirkt anders auf die Personen am Steuer ein, als das ein Mensch täte, der daneben im Auto sitzt, und eröffnet damit andere Interaktionspotentiale. Gleichzeitig besteht aber weiterhin Gestaltungsbedarf, um diese Interaktion erfolgreich zu machen. Dieselben Überlegungen lassen genauso auf alle möglichen Arten von Plattformen anwenden, deren Verhalten sich auf Basis aktueller Nutzungsinformationen verändert. Intelligente Haustechnik erlaubt beispielsweise ähnliche Betrachtungen. Egal, wo ein digitalisiertes Gerät einen Dienst leistet, der auf eine Person abgestimmt ist – es werden Fragestellungen aufgeworfen, die im Figurentheater ebenfalls relevant sind.

III.
An dieser Stelle gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Vortrag fortzusetzen. Auf der einen Seite wäre zu untersuchen, wie Kreativschaffende aus dem Bereich des Figurentheaters im Kontext der Digitalisierung neue Arbeitsfelder erschließen könnten. Die Nachfrage nach ihren besonderen Talenten ist heutzutage außerordentlich hoch. In der digitalen Welt sind Eigeninitiative, Kunstfertigkeit, Lust am Spiel und Geschick in der Vermittlung von Botschaften wichtige Voraussetzungen für Innovation. Viele Unternehmen nutzen mittlerweile interaktive Workshops und offene Laborumgebungen, um Innovation voranzutreiben (z.B. Boukhris et al. 2017; Fritzsche 2018). Sie knüpfen damit an Techniken der künstlerischen Arbeit an, die im Figurentheater schon lange zum Standard gehören, und wären für Unterstützung von Expertinnen und Experten aus diesem Feld sehr dankbar. Umgekehrt kann natürlich das Figurentheater von Innovation in der digitalen Welt profitieren, indem Lösungen, die für an-dere Anwendungsfelder entwickelt wurden, für den Bühneneinsatz übernommen werden. (2) Darüber hinaus macht die Digitalisierung auch neue Erzählformate und Darstellungskontexte möglich, die über die bürgerliche Tradition des Theaters hinausgehen und das Spiel in ganz anderen Umgebungen plat-zieren. Es wäre sicherlich nicht uninteressant zu überlegen, welche neuen Kunstformen daraus entstehen könnten.
Noch viel spannender scheint es mir an dieser Stelle aber zu sein, weiter in die Tiefe zu gehen, um zu verstehen, wie es überhaupt kommt, dass im Kontext der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft solche Bezüge zum Figurentheater auftauchen. Anscheinend ist das Neue, das uns in den Innovationen des digitalen Zeitalters gegenübertritt, auf irgendeine Weise verwandt mit dem Figurenspiel auf der Bühne. Diese Verwandtschaft soll nun genauer untersucht werden. Dazu ist es zunächst aber notwendig, einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis des Menschen zu Figur und Technik anzustellen.

IV.
Im Figurentheater wird toter Materie durch das künstlerische Spiel Leben eingehaucht. Dies betrifft Figuren, die nach dem Bild von Lebewesen angefertigt sind, aber genauso ganz andere Objekte, denen ohne das Zutun der Künstlerinnen und Künstler überhaupt nichts Lebendiges anhaften würde. In den richtigen Händen kann sogar ein Stück Plastikfolie auf der Bühne zum handlungstragenden Element werden. Soweit ich das überschaue, äußert sich darin aber keine urtümliche Form des Animismus. Im Spiel mit der Figur ist immer klar, dass die Materie auf die Interaktion mit dem Menschen angewiesen ist. Im Kontext des Theaters wird ihr von außen etwas zugeschrieben, durch das sie einen Handlungsvollzug übernehmen kann, während der eigentliche Handlungsträger im Hintergrund bleibt. Der Mensch, der sie bespielt, lagert seine eigenen Intentionen in die Figur aus, die an seiner Stelle handelt und in der er sich selbst gegenübertritt.
Genau das geschieht interessanterweise aber auch immer dann, wenn Technik zum Einsatz kommt: Materie wird für eine Handlung dienstbar gemacht, indem sie in einen Zusammenhang von Mittel und Zweck gestellt wird, der von außerhalb vorgegeben ist. Die Deutung der Handlung bleibt weiterhin dem Menschen überlassen, der sie betreibt. Die Durchführung der Handlung findet jedoch anderswo statt. Sie wird dem Menschen fremd. Er kann ihr zuschauen und sich ihr gegenüber irgendwie verhalten. Damit kommt, wie schon vor Jahrhunderten bei Hegel beschrieben, eine Dialektik in Gang, die es ermöglicht, das Handeln zu reflektieren, Einsichten daraus zu gewinnen und Technik weiterzuentwickeln (vgl. z.B. Hubig, 2002).
Normalerweise ist bei Technik nicht von Figuren die Rede, sondern von Werkzeugen und Maschinen. Was diese von Figuren unterscheidet ist der Anspruch von Determiniertheit bezüglich der Durchfüh-rung von Handlungen. Unter gleichbleibenden Bedingungen sollen ein Hammer oder eine Dampfmaschine immer gleich funktionieren. Dies hat enorme Vorteile. Es ermöglicht exakte Planung und Ver-besserung im Laufe der Zeit. Determiniertheit schafft damit eine Grundlage für technischen Fortschritt. Sie führt aber gleichzeitig dazu, dass der Zusammenhang von Mittel und Zweck aufgelöst wird. In ihrer Determiniertheit sind Werkzeuge und Maschinen nur noch Mittel für sich allein. Die Zweckbezüge sind fixiert. Mit einem Mittel, das immer wieder das gleiche ist, verbindet sich dann auch kein besonderes Erlebnis mehr. Es wird trivial, austauschbar, anonym und geschichtslos – eine bloße Formalität.
Die Determiniertheit technischer Werkzeuge und Maschinen fällt aber nicht einfach so vom Himmel. Sie erfordert zusätzlichen Aufwand, um die Unbestimmtheit, der jeder Mensch in seiner Lebenswelt von Natur aus ausgesetzt ist, zu beseitigen (Fritzsche 2009). Dieser Aufwand wird in großen Industrie-anlagen offenbar, wo Technik hinter hohen Mauern verborgen wird, um unerwünschte Einflüsse auf dem täglichen Arbeitsbetrieb zu verhindern. In der Abgeschlossenheit solcher Anlagen wird ein hohes Maß an Determiniertheit erreicht. Es herrschen Bedingungen, die eine wiederholte Ausführung immer wieder gleicher Operationen und genaue Vorhersagen der Ergebnisse des Einsatzes von Werkzeugen und Maschinen erlauben. Dies schafft die Grundlage für den enormen Erfolg industrieller Unternehmungen. Gleichzeitig trägt die scharfe Abtrennung industrieller Anlagen von ihrer Umgebung dazu bei, dass Natur und Technik oder Mensch und Technik als Gegensatzpaare wahrgenommen werden. So einfach ist die Sache aber nicht, denn auch die Kleidung, die wir tragen, das Dach über unseren Köpfen und die Brille auf unserer Nase sind technische Geräte. Obwohl unser Umgang mit ihnen nicht von Distanziertheit, sondern im Gegenteil eher von Intimität geprägt ist, erfordern sie auf ihre Weise genau wie die industrielle Anlagentechnik zusätzlichen Aufwand, um als Mittel so determiniert funktionieren zu können, dass man sie gar nicht mehr als Technik wahrnimmt. Eine Brille muss regelmäßig geputzt werden. Ihr Gestell muss sie korrekt in Position halten und die Linsenstärke muss der Sehstärke der Augen entsprechen. Obendrein muss sie überall hin mitgenommen werden. Das stellt Neulinge im Umgang mit diesem Gerät vor große Herausforderungen, wird mit der Zeit aber zur Routine. Es wird normal, Lebensvollzüge um das Gerät herum zu planen und das eigene Handeln nach den Möglichkeiten des Mitteleinsatzes auszurichten. Dieses Muster lässt sich weit in die vorindustrielle Zeit zurückverfolgen.

V.
Heute haben wir es nun mit digitalen technischen Geräten zu tun. Sie scheinen sich insbesondere dadurch auszuzeichnen, dass sie Aufwand zur Determination vermeiden. Nach der Logik des Computers als universaler Maschine ist der Funktionsumfang digitaler Geräte variabel und wird je nach Bedarf adaptiert. Dieser Adaptionsprozess wird in der neuesten Generation von Geräten so gestaltet, dass er zum großen Teil ohne das Zutun von Nutzerinnen und Nutzern ablaufen kann. Er findet unsichtbar im Hintergrund statt, unterstützt durch den ständigen Austausch von Daten in großen Netzwerken. Wo es früher an uns lag, uns ein Objekt dienstbar zu machen, gehen digitale Geräte nun mit dem Anspruch einher, von sich aus hilfreich an unserer Seite zu stehen. Wenn bisher von Dienstleistung die Rede war, geht es heute zunehmend um Assistenz (vgl. Biniok und Lettkemann 2017). Man könnte vielleicht noch deutlicher werden und von Fürsorge sprechen.
Wenn aber keine Funktion mehr bestimmt wird, die immer wieder denselben Handlungsvollzug defi-niert, dann werden auch Mittel und Zwecke nicht mehr voneinander abgesondert. Die Begriffe des Werkzeugs und der Maschine werden relativiert. Digitale Geräte benötigen nur noch selten exakte Steuerimpulse. Sie können die Eingaben ihrer Nutzerinnen und Nutzer durch Vergleiche mit vorhandenen Datenbeständen automatisch interpretieren und präzisieren. So kommt es zu dem Phänomen, dass Suchalgorithmen und Vorschlagslisten für Produkte den Eindruck erwecken, dass sie genauer wissen, was ein Mensch braucht, als er das selbst artikulieren kann. Eingabefehler bei Textprogrammen werden automatisch kompensiert; kritische Steuerungsimpulse im Auto werden technisch abge-fangen, bevor es zu Unfällen kommt. Auch der Roboter im Einkaufszentrum unternimmt eigenständige Kalkulationen dazu, wie er einer Kundin oder einem Kunden behilflich sein kann und aktiviert daraufhin die entsprechenden Verhaltensmuster.
Ist das noch Technik? Irgendwie schon, aber eben nicht in der Determination funktionaler Operationen eines Mittels, sondern einer allgemeineren Form fürsorglicher Assistenz, die sich in jedem einzelnen Anwendungsfall anders ergeben kann. Was stabil bleibt, sind nur noch die übergreifenden Erzählungen über den Einsatz der Mittel zum Zweck, in denen Erlebnisse der Techniknutzung zum Ausdruck gebracht werden. Wie ein Gerät funktioniert wird nebensächlich gegenüber der Frage, welcher Mehrwert daraus resultiert. Infolgedessen spielt bei der Technikgestaltung das „Design“ der zu erbringenden Leistung heute eine mindestens genauso große Rolle wie das „Engineering“. (3)
Damit eröffnet sich eine ganz neue Ebene, auf der Figurentheater im Kontext der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert werden kann. Es geht eben nicht nur um einzelne Gestaltungspraktiken des Figurentheaters, die auch anderswo zum Einsatz kommen können. In der Ausrichtung auf gesamtheitliche Erlebnisse der Techniknutzung hat Digitalisierung insgesamt etwas von Theater an sich. Und in den Geschichten, die erzählt werden, nehmen Objekte, die sich der Mensch dienstbar macht, eine zentrale Rolle ein.

VI.
Neben Industrieanlagen und dem privaten Lebensbereich stellt Theater einen dritten Ort der Techniknutzung dar, der in philosophischen Überlegungen gerne übersehen wird. Damit bleiben viele Gelegenheiten für die Entwicklung oder Anwendung neuer Denkfiguren ungenutzt, aus denen sich zweifellos interessante Einsichten ableiten ließen. Natürlich setzen sich viele Aufführungen im Theater mit Technik als Thema auseinander. Die Frage, wie die Strukturen und Praktiken des Theaters selbst sich zu Technik verhalten, scheint mir demgegenüber aber nur wenig Beachtung zu finden. Nach allem, was bisher gesagt wurde, drängen sich nun jedoch eine ganze Reihe möglicher Antworten auf diese Frage auf.
Mit dem Aufbau des Theaters, der Positionierung der Bühne, den visuellen und auditiven Zugangsmöglichkeiten für das Publikum und der Bühnentechnik wird zunächst eine Plattform bereitgestellt, die auf unterschiedlichste Weise für das Spiel genutzt werden kann. Es werden Bedingungen geschaffen, unter denen das Erzählen von Geschichten gelingen kann, ohne diese festzulegen. Wäre das Theater ein Smartphone, würde man vermutlich sagen, dass die Apps noch fehlen. Sie kommen durch die Stücke hinzu, die, um im Jargon der Informatik zu bleiben, einer Programmierung durch Autor und Regisseur folgen. Anders, als dies etwa in einem Vergnügungspark mit Fahrgeschäften der Fall ist, wird der Ablauf aber normalerweise nicht vollständig determiniert. Es bleiben stets Freiheitsgrade für die beteiligten Künstlerinnen und Künstler, die in jeder Vorstellung etwas anders ausgelegt werden, wobei die dafür verantwortlichen Einflüsse nur schwer nachzuverfolgen sind.
Und dann gibt es da noch eine Ebene des Technischen im Theater, die dort ansetzt, wo Objekte dienstbar gemacht werden und in Stellvertretung des Menschen Handlungen vollziehen. Dies kann nach dem Schema einer Industrietechnik oder einer Intimtechnik erfolgen. Aber es kann eben auch anders erfolgen, wie das Figurentheater zeigt.
In der Figur – oder der handlungstragenden Materie allgemein – haben wir es auf der Bühne mit einer Form der Dienstbarkeit zu tun, die immer noch Kriterien des Technischen erfüllt, aber eben nicht mehr als reines Mittel erfassbar ist. Determinierte Funktion verliert gegenüber dem Erlebnis der Interaktion mit der Figur an Bedeutung. Insofern, als die Figur mit Fäden, Stangen oder auf andere Weise geführt wird, steht sie weiterhin in einem Zusammenhang von Zweck und Mittel. Der Wertbeitrag des Spiels ergibt sich aber erst aus der Wirkung, die damit erzeugt wird, und lässt Raum für Abweichungen, wie sie auch dem Menschen auf der Bühne zur Verfügung stehen.

VII.
Gerade dort, wo die Figur genaue Züge eines Menschen oder eines anderen Lebewesens aufweist, geht ihre Bedeutung vermutlich noch weit über das hinaus, was hier besprochen wird. Es soll hier gar nicht um eine erschöpfende Erklärung des Figurentheaters gehen, für die ich ohnehin der falsche Ansprechpartner wäre. Mein Anliegen ist vielmehr, das Figurentheater als Reflexionsraum für Erfahrungen zu beschrieben, die wir im Zuge der Digitalisierung mit Technik machen. Was diesen Reflexionsraum meiner Meinung nach besonders wichtig macht, ist die Tatsache, dass darin nicht nur die Technik selbst, sondern auch der Mensch in aller Widersprüchlichkeit seiner Beziehung zur Technik zugänglich wird. Der Mensch führt das technische Gerät. Mal ist diese Führung klar ersichtlich, mal bleibt sie im Dunkeln und man fragt sich, wie sie funktioniert. Umgekehrt ist der Mensch in vielen Fällen als Gegenüber des Geräts auf der Bühne zu sehen und interagiert damit so, als hätte er es mit einem tatsächlichen Lebewesen zu tun. Auch da bleibt oft unklar, inwieweit nun hinter dem Gerät ein anderer Mensch oder gar mehrere andere Menschen stecken, wie sie das Gerät führen und an welcher Stelle es vielleicht doch nur dadurch lebendig wirkt, dass ihm die Rolle des Gegenübers zugewiesen wird, ohne dass man dem Gerät irgendeine Intentionalität zuschreiben könnte.
In der digitalen Welt machen wir im Umgang mit technischen Geräten tagtäglich solche Erfahrungen von Ambiguität und Intransparenz. Zu einer näheren Auseinandersetzung damit kommt es jedoch nur selten, was allein schon daran liegen kann, dass es schwer ist, diese Erfahrungen in Worte zu fassen. Die Denkfiguren, die bisher im Nachdenken über Technik eine Rolle gespielt haben, reichen dazu nicht aus. Über das Figurentheater könnten sich nun neue Möglichkeiten ergeben, die existenziellen Herausforderungen der digitalen Welt für uns als Menschen im Umgang mit Technik anzusprechen und zu lernen, wie wir damit umgehen können. Damit könnte das Figurentheater einen wesentlichen Beitrag zur Innovationsforschung im digitalen Zeitalter leisten.


Anmerkungen

(1) In der Fachliteratur wird dies wohl am deutlichsten an Modellierungsprinzipien für technische Artefakte wie dem cyber-physischen System (Lee 2008) oder dem Internet der Dinge (Atzori et al. 2010), die keinen Unter-schied mehr zwischen stofflichen Gegebenheiten und formal-symbolischen Repräsentationen machen. Ein physi-sches Objekt kann nun auch über seinen digitalen Zwilling angesprochen werden, mit dem ganz andere Interak-tion möglich werden. Nicht durch Zufall gelten cyber-physische Systeme als treibende Kraft hinter der industri-ellen Revolution 4.0 (Kagermann et al. 2013; Porter und Heppelmann 2014).

(2) Eine zunehmend beliebte Form von Innovation, die inspiriert von der Informatik heute auch gerne als Hacken bezeichnet wird. Der pragmatische Umgang mit Material, um den es dabei geht, hat aber natürlich eine viel län-gere Tradition – nicht nur, aber ganz besonders in der darstellenden Kunst.

(3) Ein weiterer Anglizismus, der in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, ist die so genannte User Experience als Bewertungskriterium für neue Technik, mit der sich die Aufmerksamkeit von der zweckhaften Nutzung eines Geräts hin zum Erlebnis der Umgangs mit dem Gerät verschiebt (Hassenzahl und Tractinsky, 2006).

Literatur

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Many thanks to the three associations dfp, Unima and VDP as well as the hosts of the 4th German Figure Theater Conference for their support at the opening workshop of the special program KONFIGURATION.

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