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Vom Aufbruch ins Digitale

By Elena Philipp

„Und dann kam Corona.“ Riss die darstellende Kunstszene aus ihrem Dornröschenschlaf der stillen Hoffnung, „es möge irgendwie vorbeigehen mit der digitalen Kunstentwicklung – und Theater auf ewig eine letzte Bastion der echten Welt bleiben, in der es nicht um digitale Bühnen und Neugierde auf Neues gehen sollte, sondern um Rückzug in den wohligen Schutz der leiblichen Co-Präsenz.“ Hilke Marit Berger vom CityScienceLab der Hafen City Universität Hamburg beschreibt die Covid-19-Pandemie in ihrem Input zu AG II.5, („How Deep Is Your Love? Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die Kunst des Digitalen“) als ein paradigmenstürzendes Schwellenereignis.

Anders stellen sich die letzten eineinhalb Jahre für Susanne Schuster vom Digital-Performance-Duo OutOfTheBox dar: Experimente gab es schon vor Corona, Expertise auch. Manche Neueinsteiger*innen hätten das Rad neu erfunden und an der bestehenden Digitaltheaterszene vorbeigewerkelt. Mehr Wissenstransfer, mehr Vernetzung, lautet das Fazit der Dramaturgin, Kuratorin und Produktionsleiterin, die als Expertin in AG II.5 wie AG I.1 („Kunst: Ästhetische Perspektiven, Praxen und neue Räume nach Corona“) mit den Teilnehmer*innen diskutierte.

In the large hall of the Radialsystem, several groups have come together for discussions in individual circles of chairs.

Durch die Arbeitsgruppen waberte dabei offenbar ein gewisser Ärger über die Stadt- und Staatstheater, die, statt Digitalität als eine zeitlich aufwändige und enorme Expertise verlangende Verbindung von Kunst und Technik zu verstehen, damit vor allem das Onlinestellen von (Live-)Streams verband. Jonas Zipf von JenaKultur betonte in seinem Impuls denn auch die Avantgarde- und Vorreiter*innenrolle der Freien Darstellenden Kunst. Wenngleich sich die Darstellenden Künste, wie Praktiker*innen betonten, noch einiges von der Medienkunst abschauen könne, die digitale Technik derzeit viel selbstverständlicher nutzt. Denn: Digital ist nicht gleich Online, wie Susanne Schuster betont.

Ob langjährige Praxis oder kurzfristige Notwendigkeit einer Verlagerung ins Digitale (und damit vermutlich in dem von Schuster angemahnten verkürzten Verständnis: ins Netz): Noch ist nicht ganz entschieden, wie viel bleiben wird von den zusätzlichen Experimenten zur Liveness im Digitalen, die Corona als Katalysator eines auch großen Gestaltungswillens angestoßen hat. An Förderinstitutionen ergeht im großen Wunschkonzert, das das Bundesforum auch darstellt, die Aufforderung, in Weiterbildung zu investieren: Oft sei die Aneignung technischen Wissens auf eigene Kosten oder gar selbstausbeuterisch erfolgt – die wesentlich höheren Honorare für Programmierer*innen sind dabei noch gar nicht bedacht. In den tendenziell kurzen Förderzeiträumen nicht abgebildet sei die längere Laufzeit digitaler Projekte, welche die Programmierung von Software oder das Vertrautmachen mit neuer Hardware erfordern. So wie auch der Aufbau neuer Communities in digitalen Räumen, ebenfalls ein zeitaufwändiges Unterfangen, bislang kaum förderwürdig sei.

Dabei liege gerade hier – im Aufbau eines neuen Publikums, auch in verwandten Bereichen wie dem Gaming – eine große Chance des Digitalen. Sukzessive und mit einer langfristigen Strategie müsse man die Gruppen etablieren, die sich mit den künstlerischen Inhalten identifizierten, so Alice Ströver von Kulturvolk im Resümee der AG II.6 („Das (digitale) Publikum: Neue Wege der Begegnung“). Das Internet, auch daran erinnerte Susanne Schuster, ist kein reiner Distributionskanal. Also ran an die Zuschauer*innen. Räumt die Szene dem Aufbau von Communities dabei Vorrang ein vor dem zur Verfügung stellen von Kommunikationsräumen? Oder sind Chats, Zoom-Nachgespräche, Abstimmungstools als Instrumente ohnehin gesetzt?

Von ermutigenden, auch beglückenden Momenten des Kontakts zum Publikum künden die Teilnehmenden in der AG I.1. Die Luftartistin Jana Korb etwa erzählt, wie sie nach einer Digitalperformance den Chat nachlas, in dem die Zuschauer*innen sich ausgetauscht hatten – ein Live-Feedback, wie sie es während und auch nach einer Vorstellung im öffentlichen Raum sonst nicht erhält. Und Bettina Milz definiert den direkten Austausch als das, was Theater als Kunstform eigentlich ausmacht. Kleine Gesten genügten dabei – trotz Bewirtungsverbot ein Glas Sekt in den Hinterhof mitzugeben –, und wenn der Kontakt gelinge, dann sei er stets bereichernd.

Mitzudenken gilt es dabei die Ausschlüsse, von denen Sibylle Peters an Tag 1 eindrücklich berichtet hat – digital wie analog. Auch hier hat Jana Korb ein markantes Beispiel: Bei einem sonst von einem diversen Publikum besuchten Festival in Rastatt sei das Publikum in diesem Jahr mehrheitlich weiß und über 40 Jahre alt gewesen – Jugendliche, migrantische Gruppen, Marginalisierte bleiben noch häufiger als ante corona außen vor. Der Verengung des öffentlichen Raums durch Gentrifizierung und Privatisierung entspricht die Vorformatierung des Internets durch Tech-Giganten – hier gibt es den Wunsch, wieder mehr Offenheit zu finden. Mehr Sichtbarkeit müsse dabei die Freie Darstellende Kunst gewinnen, die sich als Forschungslabor für die Gesellschaft versteht. Oder: mehr Sichtbarkeit schaffen? Gerade nach Corona ist das ein zentraler Auftrag.


Tagesaktuell berichten die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp von dem Geschehen vor Ort, zeichnen die Diskussionen nach und geben Einblicke in die Vorträge und vertretenen Standpunkte.