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Zwischen Baby und Bühne

By Elisabeth Wellershaus

Im Herbst 2020 entstand eine neue Arbeitsgemeinschaft in der Tanzszene. Das Thema Tanz und Elternschaft hatte während Corona viele strukturelle Fragen aufgeworfen. Im Gespräch über ihr Labor teilen die Choreografinnen Jenny Haack und Saskia Oidtmann einige ihrer Antworten.

Elisabeth Wellershaus: Was war der Impuls für euer Projekt zum Thema Tanz und Elternschaft?

Jenny Haack: Ganz klar die pandemische Erfahrung. Themen, die durch Corona präsenter wurden, haben zwar auch vorher existiert. Aber in Zeiten, in denen ein Mangel an Produktions- und Auftrittsmöglichkeiten auf geschlossene Schulen und Kitas traf, haben wir uns noch einmal dringlicher gefragt: Was genau macht Elternschaft eigentlich mit Tanzschaffenden – vor allem mit tanzschaffenden Müttern? Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass sie in fast alle Bereiche hineinwirkt. Ob es Anträge und Förderprogramme betrifft, Zugang zu Residenzen, die Arbeit von Jurymitgliedern – oft war Diskriminierung aufgrund von Schwangerschaft oder Sorgearbeit ein Thema.

Saskia Oidtmann: Ab Sommer 2021 kamen plötzlich immer mehr Anfragen und Unterstützungsgesuche von Menschen mit Kindern auf uns zu. Uns wurde klar, dass die freie Tanzszene eine Art koordinierte Auseinandersetzung mit dem Thema brauchte. Und das Lab war eine Möglichkeit, das Ganze mit finanzieller Unterstützung zu durchdenken – in Berlin, auf Bundesebene, aber auch international und im Austausch mit anderen Kunstsparten.

Was sind denn die größten Herausforderungen in der Verflechtung von Familienorganisation und den Anforderungen im Tanzbereich?

SO: Wir haben mit Tänzer*innen, Choreograf*innen, Techniker*innen, Dramaturg*innen, Tanzwissenschaftler*innen und Intendant*innen gesprochen. Zum einen kam heraus, dass viele sich mit dem Thema Elternschaft alleine gelassen fühlten. Zum anderen machten viele ganz ähnliche Erfahrungen. Etwa, dass von Förderinstitutionen nach Schwangerschaft und Elternzeit Arbeitsnachweise gefordert wurden, die kaum zu erbringen waren. Dass Residenzprogramme gerade erst damit anfingen, auch Themen wie Kinderbetreuung und Familienaufenthalte mitzudenken. Und dass all dies bei Ausschreibungen meist nicht besonders transparent wurde.

JH: Manche Punkte wurden immer wieder genannt: Touren und Residenzen funktionieren, solange Kinder klein sind und man noch nicht durch Schulzeiten limitiert ist, später aber wird es mit dem Reisen schwieriger, vor allem, wenn man ohne Partner*in unterwegs ist. In den vergangenen Jahren hat sich das Thema Reisen zwar verschoben, vieles wurde von zu Hause und digital gemacht. Auch Produktionsweisen haben sich verändert, oft wurde vor der Haustür anstatt im Probenraum getanzt. Aber auch für diese Prozesse braucht man Zeit und Rahmenbedingungen, die Elternschaften mitdenken.

Ein hoher Raum, aus einer Empore herunter fotografiert. Auf dem Boden liegen Decken, im losen Kreis liegen Frauen mit Kindern, Kissen, Laptops. In der Mitte des Kreises stehen Speisen. Eine Frau steht und trägt ihr Kind auf dem Arm. © Mayra Wallraff

Gerade auf internationaler Ebene gibt es da sicher ganz unterschiedliche Erfahrungen. Was habt ihr im Gespräch mit Kolleg*innen aus dem Ausland erfahren?

SO: Was in Kanada und Großbritannien bereits an Forschung passiert, ist unglaublich. Unter anderem geht es dort um tanzmedizinische Forschung, die sich damit beschäftigt, wie Schwangerschaften Körper und Tanztechniken verändern. Oder warum die Mutterschutzzeiten für Sportlerinnen nicht auch für Tänzerinnen gelten. Die Performerin und Autorin Susie Burpee beschäftigt sich eingehend mit den sozialen Aspekten von Tanz und Elternschaft – mit Arbeitszeiten, Kinderbetreuung, etc. Aber auch aus der Praxis haben wir viel Interessantes erfahren. Die Aranyani Bhargav aus Delhi erzählte in einer unserer Sessions von einer vielbeachteten Performance, bei der sie im achten Monat schwanger gewesen war. Sie erzählte von einer Rezension, die sehr genau darauf bedacht war, nicht auf ihre Schwangerschaft einzugehen. Begründung: Das Thema würde die Leser*innen abschrecken.

Wie seid ihr damit umgegangen, dass Wahrnehmungen und Erfahrungen von Tanzschaffenden in unterschiedlichen Weltregionen stark variiert haben?

SO: Es gab zum Teil sehr dramatische Beispiele. Eine Kollegin aus Chile etwa erzählte von den prekären Bedingungen unter denen sie und ihre Kolleg*innen litten – unter einer sozialen Ungleichheit, gegen die bereits 2019 heftig im Land protestiert worden war. Sie berichtete davon, wie viel Zeit und Energie sie darauf verwenden mussten, um Essen und Hygiene-Artikel für sich und ihre Kinder zu organisieren, wie viel Kraft es koste, um bis ans Monatsende über die Runden zu kommen. Da bliebe nicht mehr viel Raum fürs kreative Arbeiten. Was wir dennoch unbedingt vermeiden wollten: den Anschein zu erwecken, dass bestimmte Auseinandersetzungs-Vorsprünge in westlichen Ländern ein Gespräch auf Augenhöhe verhindern könnten. Am Ende taten sich ohnehin oft ähnliche Probleme auf, selbst wenn Förderstrukturen und Lebensumstände teils gravierend auseinanderklaffen.

Wo setzt ihr an, um auf praktischer Ebene etwas zu verändern?

JH: Wir probieren es momentan vor allem auf Bundesebene. Viele Lab-Teilnehmer*innen, die früher an festen Häusern gearbeitet haben, erzählten, dass die Strukturen dort ähnlich familienunfreundlich waren wie in der Freien Szene. In allen unsern Labs, die ausschließlich von Frauen besucht waren, wurde immer wieder über knapp befristete Verträge und ein Arbeitsaus durch Schwanerschaft und Mutterschaft geklagt – alles trotz Arbeitsschutzregelungen. Es sind alles keine unbekannten Themen, und doch hörten wir immer wieder die Frage: Verschweige ich meine Schwangerschaft oder nicht? Wir versuchen, diese Erfahrungen zunächst einmal zu bündeln, sie deutlicher hör- und sichtbar zu machen.

Es scheint, als sei der generelle Umgang mit dem Thema Elternschaft in den Künsten bis heute ein etwas unaufgeräumter.

SO: Stimmt, vor allem der Umgang mit Mutterschaft. Der Begriff Mutter ist in Deutschland ja noch immer sehr stark an die ideologischen Vorstellungen aus der Nazizeit gekoppelt. Es gibt bestimmte Bilder von funktionierender Familie, die historisch geprägt sind. Dabei bedeutet Muttersein auf praktischer Ebene eben auch: Man hat nie lange Zeit, man ist kontinuierlich auf die Bedürfnisse anderer eingestellt. Man ist aber – abgesehen vom Körperlichen – deutlich leistungsfähiger und effizienter.

JH: Und natürlich prägt Mutterschaft auch die eigene künstlerische Arbeit. Leider reichen die Honorare für das Familienleben und vor allem für eine Altersvorsorge meist bei weitem nicht aus. So gehen vor allem viele Frauen im Tanzbereich oft ins Organisatorische oder in den pädagogischen Bereich. Sie gehen in die Vermittlung und beenden ihre künstlerische Tätigkeit. Darüber und über ähnliche Themen wollen wir in Zukunft sprechen, die Themen Tanz und Elternschaft noch enger zusammendenken und eine Reform der Strukturen in der Tanz- und Kunstszene einfordern. Die im Projekt begonnene (inter-)nationale Vernetzung mit anderen Initiativen setzt dafür einen Anfang.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.