Vor der Abbruchkante – zwei Tage über Gegenwart und Zukunft der Freien Darstellende Künste am Haus der Berliner Festspiele

18. Okt. 2022

Mehr als 500 Besucher*innen beim „Bundesweiten Artist Labor der Labore“ und 650 Besucher*innen beim „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ an den Berliner Festspielen gingen am 14. und 15. Oktober Fragen rund um die Zukunft der Freien Darstellenden Künste nach. Trotz der erfreulichen Verlängerung von NEUSTART KULTUR machen sich die Künstler*innen Sorgen über die Zuwendungen, die für 2023 an den Fonds geplant sind, und schaffen während des Abschlusspanels mit den kulturpolitischen Sprecher*innen der Ampelregierung, Helge Lindh (SPD), Erhard Grundl (Bündnis 90/Die Grünen) und Anikó Glogowski-Merten (FDP), sowie dem Amtschef der BKM, Dr. Andreas Görgen, ein eindrückliches Bild im großen Saal des Festspielhauses.

In ihrem Grußwort hob Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Schirmfrau der Veranstaltung und der Bundesweiten Artist Labs, die Rolle der Freien Darstellenden Künste als Innovationsmotor in Kunst und Gesellschaft hervor:

„Dabei bearbeiten sie die drängenden Fragen unserer Zeit. Die Bundesweiten Artist Labs und das Bundesweite Artist Labor der Labore richten das Scheinwerferlicht auf dieses Potenzial der Freien Szene. Sie machen den Beitrag ihrer Akteurinnen und Akteure, ihrer Spielstätten und Produktionen zur kulturellen Vielfalt sichtbar und zeigen, dass künstlerisches und gesellschaftliches Engagement für die drängenden Themen der Gegenwart sich gegenseitig bedingen und befruchten.“

In seiner Eröffnungsrede betonte Holger Bergmann, Geschäftsführer des Fonds, die gesamtstaatliche Bedeutung der bundesweit agierenden Freien Darstellenden Künste, denen der aktuelle Haushaltsentwurf der Bundesregierung nicht gerecht wird:

„Momentan droht eine scharfe Abbruchkante in der Förderung. Nach aktueller Haushaltsaufstellung stehen dem Fonds Darstellende Künste ab 2023 nur noch vorpandemische zwei Millionen Euro für die Freie Szene zur Verfügung. Damit würde die Förderquote von zuletzt 45 bis 30 Prozent auf drei bis ein Prozent sinken. Gleichzeitig könnte die Förderung der bundesweit professionell agierenden Freien Szene durch den Bund bereits mit 10 Prozent der Neustartmittel von 165 Millionen Euro nachhaltig gesichert werden. 16,5 Millionen Euro jährlich um die Freien Darstellenden Künste in ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung zu stärken.“

Weit mehr als 100 Millionen Euro der NEUSTART-Mittel hat der Fonds Darstellenden Künste bereits in Förderung umgesetzt. Die verbleibenden Mittel sind in bestehenden Förderprogrammen gebunden und werden in aktuellen Ausschreibungen bis Mitte 2023 verausgabt.

Flucht aus dem Saal: Künstler*innen veranschaulichen drohende 3%-Förderquote durch leere Reihen während Polit-Panel

Diese Zahlen griffen Künstler*innen in einer Protestaktion auf. Während der abschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. Andreas Görgen (Amtsleiter der BKM) und den kulturpolitischen Sprecher*innen der Regierungsparteien, Helge Lindh (SPD), Erhard Grundl (Bündnis 90/Die Grünen) und Anikó Glogowski-Merten (FDP), demonstrierten die Anwesenden in einer künstlerischen Protestintervention eindrucksvoll, welche Konsequenzen drohen, sollten die für den Fonds zur Verfügung stehenden Fördermittel wieder auf vorpandemisches Niveau zurückfallen und sich damit einhergehend die Förderquote dramatisch reduzieren: Von den im Zuschauerraum anwesenden Künstler*innen verließen jene, die in einem solchen Szenario keine Förderung erhalten würden, den Saal es blieben keine 3 Prozent der Anwesenden. Vom Podium fiel der Blick in ein nahezu komplett leeres Parkett. Mehrfach wurde zuvor das Gespräch auf dem Podium mit Forderungen nach 16,5 Millionen Euro für die Freien Darstellenden Künste gestört.

Diskurs & Dialog: Planungssicherheit für die Künste in Bewegung

Während des zweitägigen „Bundesweiten Artist Labor der Labore“ wurden in einem 360-Grad-Rundumblick auf die Freien Darstellenden Künste in Deutschland Rahmenbedingungen, ästhetische Entwicklungen, Herausforderungen an das Produzieren sowie Fragen der Vermittlung und Publikumsgenerierung erörtert. In verschiedenen Laborsituationen konnten die Teilnehmenden ein facettenreiches Themenspektrum vertiefend diskutieren und in Versuchsanordnungen erproben. Die Palette der Fragestellungen reichte dabei von Aspekten der Nachhaltigkeit, Ökologie und Digitalität, intersektionalen Betrachtungen von Diversität bis zu neuen Formen der Vernetzung und Zusammenarbeit. Vorstand und Geschäftsführung des Fonds Darstellende Künste bewerten das Dialog- und Diskursangebot des „Bundesweiten Artist Labor der Labore“ als vollen Erfolg und als wichtigen Input-Geber für die Ausrichtung künftiger Förderprogramme.

Der Wissensaustausch des Tages hallte am Abend des 14. Oktober in dem renommierten, von Hannah Hurtzig entwickelten „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ der Mobilen Akademie Berlin wider. Unter dem Titel „Ende der Wiederholung“ präsentierten 100 Expert*innen aus Kunst, Aktivismus, Theorie und unterschiedlichsten Arbeitsalltagen in ausgebuchten 1:1-Geprächen ihre Expertisen für und gegen das Repetitive vor und mit 650 Besucher*innen.

Stark beeindruckt hat die Preview des Dokumentarfilms von Janina Möbius, der nach der Einarbeitung der Szenen des Wochenendes Ende dieses Jahres bzw. Anfang des kommenden Jahres an mehreren Orten in der Bundesrepublik Premiere feiern wird.

Die umfassende Dokumentation der Veranstaltung wie auch der vorangegangen, rahmengebenden 30 Bundesweiten Artist Labs stehen in Kürze auf der Homepage des Fonds zum Abruf bereit. Bereits jetzt geben Interviews, Essays und Podcasts im Fonds-Blog Einblicke in die Themenwelten der Freien Darstellenden Künste.