Wie klingen Marias Mirakel?

Von Elena Philipp

Kultur trotz(t) Krise (Folge 7): In ihrer performativen Installation „Wunder“ über Altöttings Schwarze Madonna bringen Christiane Huber und ihr Team religiöse Rituale und aktuelle Diskurse zusammen.

Wunder wirken. Bei den einen führen sie zur Heilung an Körper und Seele, den anderen füllen sie Kisten und Kasten. Verlässlich verzeichneten die Wittelsbacher Herrscher in Bayern ein neues Mirakel der Altöttinger Schwarzen Madonna, sobald die königlichen Schatullen geleert und Pilger*innen als Einkommensquelle vonnöten waren. „Waren die Kassen leer, musste ein Wunder her“, formuliert es die Künstlerin Christiane Huber. Nachvollziehen konnte sie diese historischen Vorgänge, die Macht, Ökonomie und Religion verdrillten, bei ihrer Lektüre der Altöttinger Mirakelbücher. In diesen Aufzeichnungen führte die Kirche vier Jahrhunderte lang Buch über all die Wunder, die die Schwarze Madonna bewirkt haben soll.

„Maria hilf“ mit abertausend Einträgen

Mit bayerischer Marienmythologie befasst sich Christiane Huber als Vorbereitung auf ihre performative Soundinstallation „Wunder“, die, finanziert aus dem #TakeAction-Programm, Mitte August 2021 in Altötting gezeigt wurde. Als zweiter Teil des Projekts feiert im Oktober ihre Inszenierung „We Call Wonder“ beim Theaterfestival Spielart in München Premiere. Begeistert berichtet Christiane Huber von dem, was sie bei ihren Recherchen in den Mirakelbüchern gefunden hat. Das Archiv des Bistums Passau hat sie ihr als Excel-Liste zur Verfügung gestellt. Die Aufzeichnungen decken einen Zeitraum ab von den 1390er Jahren, als das Gnadenbild der Schwarzen Madonna in Altötting aufgestellt wurde, bis in die 1790er Jahre. „Maria hilf“ oder „Maria hat geholfen“ lautet die Formel, mit denen jeder der abertausend Einträge beginnt.

„Maria hat geholfen“, liest Christiane Huber ein Beispiel aus einem Notizbuch vor – den Dank für die Rettung während eines Sturms: „Da brach plötzlich ein Kampf der Winde los, zugleich stürzten Wagen und Mann, und der sturmreiche Südwind durchjagt mit störrischem Wirbel die Erde.“ Häuser, Ställe, Bäume zerstört der Sturm, aber als der verzweifelte Gläubige ausruft „Oh Muttergottes von Oeting, rette mir Leib und Habe“ und ein Viertelpfund Wachs auf dem Altar darzubieten verspricht, legt sich der Wind.

Direkt ist die Verbindung zu Gott, die in den Einträgen geschildert wird. Die Beispiele aus der Pestzeit ließen Christiane Huber an die Corona-Pandemie denken – wütet eine unerklärliche Krankheit, bleiben den Gläubigen Gebet und Hoffnung. Und natürlich die Gaben für die Mutter Gottes: 1536 etwa bewahrt Martinus Stromair aus der Umgebung von Weilheim seine neun Söhne, die Gemahlin sowie Knechte und Mägde durch die Spende von einem Pfund Wachs an die Schwarze Madonna davor, sich mit der Pest anzustecken. „Auf Fürbitte Mariens“, bekundet der Schreiber dieses Eintrags und fügt hinzu: „Das Landvolk wird öfter und schneller erhört, weil es mit grösserem Glauben zum Himmel fleht.“ Ein Archiv der Fährnisse vormodernen Alltagslebens sind die Mirakelbücher. Eine Fundgrube für Christiane Huber und ihre Kolleg*innen.

Erleuchtete Tiefgarage. Ein einzelner Performer steht an der linken Seite des Bildausschnittes und schaut an die Decke. © Sven Zellner

Vom Kerzenrauch geschwärzt?

Für die reiche Kultur rund um die Schwarze Madonna interessiert sich Christiane Huber gewissermaßen qua Geburt: Sie ist im Landkreis Altötting aufgewachsen. Studiert hat sie Psychologie, als Schauspielerin hat sie sich an einer Privatschule ausbilden lassen. Später schloss sie noch ein Masterstudium der bildenden Kunst und Soundart am Bard College in New York ab. In ihren Projekten bringt sie ihre Lokalkenntnis und eine internationale Perspektive zusammen. Wichtig als Ausgangspunkt? „Ich habe Respekt für die Traditionen. Religiöse Rituale abzuwerten, liegt mir fern“, sagt sie. „Aber ein bisschen aufrütteln darf man die Leute schon.“

Bei ihrer Beschäftigung mit der Altöttinger Schwarzen Madonna folgen Christiane Huber und ihr Team drei Leitfragen: „Wie hat sich auch ökonomisch so ein Kult herausgebildet? Kann man die religiöse Symbolik feministisch umdeuten? Und was bedeutet Schwarzsein heute?“ Um strittige Themen der Theologie geht es da schnell genauso wie um aktuelle Debatten und Diskurse: Eine Schwarze Frau zu verehren, scheint für manche Katholik*innen nicht leicht, denkt man, wenn man Christiane Huber über ihre Recherchen sprechen hört. In Altötting wird die Figur als Mutter Gottes adressiert, nicht als Schwarze Madonna. Und die dortige Kirche vertritt die These, dass Kerzenrauch das Gesicht der ursprünglich weißen Holzfigur geschwärzt habe. Ethnolog*innen und Kirchenhistoriker*innen, mit denen Christiane Huber gesprochen hat, nennen auch andere mögliche Erklärungen: Zurückführen ließen sich diese in ganz Europa verbreiteten Bildnisse Schwarzer Madonnen auf antike Gottheiten wie Isis. Vielleicht haben Erfahrungen während der Kreuzzüge die Darstellungen geprägt? „Exotismus spielt sicher eine Rolle“, fasst Huber die Gespräche zusammen. „Zugleich wird den Schwarzen Madonnen besonders hohe Wundertätigkeit zugeschrieben.“ Ein Paradox, das auch die theologische Beschäftigung mit der Schwarzen Madonna prägt. „Nigra sum, sed formosa“, zitiert Christiane Huber aus dem Hohelied Salomos. „Wäre das zu übersetzen mit ‚Ich bin schwarz, aber schön‘ oder ‚Ich bin schwarz und schön‘?“

Künstlerisch sind diese Debatten ergiebig: „Ich finde es interessant, dass es widersprüchlich ist und so viele Erklärungsmodelle nebeneinander existieren. Mit dieser Komplexität will ich umgehen“, erklärt Huber ihren Ansatz. All die Fundstücke und Theorien, auf die sie und ihre Mitstreiter*innen bei den Vorbereitungen gestoßen sind, aber auch Diskurse über Rassismus, Diversität, Queerness und freie Assoziationen zur Schwarzen Madonna fließen ein in die performative Soundinstallation in Altötting. Zwei Tage vor Mariä Himmelfahrt wurde sie am 13. August 2021 in einer vierstündigen durational performance aufgeführt – in der Tiefgarage unter der Gnadenkapelle.

Dunkle Tiefgarage mit einem Lichtspott auf eine Tänzerin, die ein Kopftuch trägt und anmutig auf einem Bein steht. © Sven Zellner

Vom Nachklang der Wunder

„Ursprünglich hatten wir eine künstlerische Prozession auf dem Kapellplatz geplant“, erzählt Christiane Huber. „Aber vor Ort haben wir gemerkt, dass es schwierig ist, dem Platz etwas hinzuzufügen.“ Altöttings Kapellplatz ist selbst schon eine Inszenierung: Imposant ist die umgebende Architektur, neben der Kapelle stehen die Stiftskirche, das Kloster St. Magdalena, die Jesuitenkirche und das Rathaus. „Für die Soundinstallation haben wir die Altöttinger Kirchenglocken aufgenommen. Ich stand auf dem Kapellplatz, mit einer Fernbedienung, und konnte fünf verschiedene Glocken erklingen lassen“, erzählt Huber. „Wenn Pilger einziehen, soll das bombastisch wirken.“ Wer von den Pilgernden nicht ganz dem religiösen Erleben hingegeben ist, wird von den Gasthäusern und Souvenirständen in Beschlag genommen, die sich rund um die Gnadenkapelle anordnen. „Bis heute ist ein Wallfahrtsort gutes Marketing“, so Huber. Und doch sind die Gemeinde und die Kirche an einer auch kritischen Auseinandersetzung mit den religiösen Ritualen interessiert. „Wir bekamen viel Unterstützung, vom Landrat, vom Kulturamt oder dem Wallfahrtsbüro. Die Sorge war nur, dass wir die Pilgernden stören“, so Huber.

Durch das Ausweichen in die Tiefgarage hat das Projekt letztlich seinen idealen Raum gefunden. „Wir brauchten Abstand zur Gnadenkapelle, um das Phänomen der Schwarzen Madonna künstlerisch zu reflektieren. Und wir brauchten Platz für die Leute, unsere Performance konzentriert zu verfolgen“, so Huber. „Die Garage ist außerdem niedrig und hat einen extremen Nachhall. Das passt zu unserem Thema, dem Nachklang der Wunder.“ Klang ist eine wesentliche Komponente der Altöttinger Inszenierung. Konzipiert hat die Soundscape der Musiker Michael Schmid, der, wie Huber, aus der Gegend kommt, aber in Brüssel dem internationalen Ensemble ICTUS angehört. In drei Teile hat er seine vierzigminütige Komposition gegliedert, die im Loop abgespielt wird: „Wenn die Leute reinkommen, klingt die Situation paradiesisch, im Mittelteil herrschen weltliche Klänge vor, das Ende ist eher eine apokalyptische Endzeitstimmung“, erklärt Huber. Die sieben Performer*innen interagieren unterdessen mit dem Bühnenbild des Bildhauers Robert Keil, in steter Bewegung wie Pilgernde. Begleitend sprechen sie Texte, zum Beispiel Wundererzählungen aus den Mirakelbüchern, die Christiane Hubers Recherchen begleitet haben. „Und am Ende läuten die Altöttinger Glocken.“

Nachdem die Zuschauer*innen diese Erfahrung gemacht haben – was wäre die ideale Wirkung ihres „Wunders“? Christiane Huber denkt nicht lange nach: „Für mich steht die Performance auch in Bezug zur Klimakrise und unserer Endzeitstimmung. Verbleiben wir in einer passiven Haltung, statt politisch aktiv zu sein und uns für drängende Themen einzusetzen? Hoffen wir, wie die Gläubigen, auch auf ein Wunder?“ Möge die Performance, denkt man angesichts der aktuellen, katastrophischen Klima-Nachrichten, aufrütteln.

In der Reihe „Kunst trotz(t) Krise“ blicken die Kulturjournalist*innen Elena Philipp und Georg Kasch im Auftrag des Fonds Darstellende Künste hinter die Kulissen geförderter Projekte. Wie wirkt die #TakeThat-Förderung des Fonds im Rahmen des NEUSTART KULTUR-Programms der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien?