Berauschende Szenen des Kollektiven

Von Elisabeth Wellershaus

Die Schauspielerin und Regisseurin Mateja Meded hat Labor „Hack the System – von Ohnmacht zur Macht“ geleitet. Zusammen mit dem Cast ihres Film-Projekts hat sie über die hierarchischen Strukturen des Kulturbetriebs nachgedacht. Ein Beitrag von Elisabeth Wellershaus.

LABOR – Hack the System – von Ohnmacht zur Macht

Vielleicht ist es ihre herzliche und zupackende Art. Schon bevor ich ihre Wohnung betrete, lenkt Mateja Meded mich am Mobiltelefon von der Bahn zu sich nach Hause, fragt, ob sie etwas kochen soll. Ob ich dies oder das möge, Kuchen sei noch da, Champagner auch. Als ich ankomme, bin ich längst bereit, alles zu mögen, was sie mir vorsetzt. Und tatsächlich fällt es nicht schwer. Ihr Apfelkuchen ist ebenso überzeugend wie die Idee, mit der sie in ihr Labprojekt gestartet ist. Sie fasst es mit einem kurzen Satz zusammen: „Ich will das System hacken.“

Im Treppenhaus hatte mich Hercules Poirot begrüßt, ein kleiner Hund mit lautem Organ, der sich ähnlich über den Besuch zu freuen scheint, wie seine Besitzerin. Seit Tagen lernt Meded Text für eine neue Rolle, verkriecht sich allein in ihren vier Wänden, um sich in die Figur hineinzuversetzen, die sie in Kürze spielen soll. Doch in dem Moment, als ich die Wohnung betrete, ist sie präsent.

Wie die meisten Menschen, die im Berliner Kulturbetrieb arbeiten, wird ihr täglich eine enorme Flexibilität abverlangt. Als Schauspielerin, Filmregisseurin und Teil der Freien Szene schlüpft sie stets in neue Rollen. Sie lässt sich auf wechselnde Arbeitsbedingungen, neue Umfelder und persönliche Unwägbarkeiten ein. Die Sehnsucht nach Kreativität ist dabei mit einer andauernden finanziellen und organisatorischen Unsicherheit verbunden – „aber damit kann ich umgehen“, sagt Meded. Doch es ist, es bleibt eine Herausforderung. Denn ihr Arbeitsumfeld ist von Machthierarchien geprägt, in denen Ausgrenzung und Diskriminierung die Unsicherheit verstärken. Auch im deutschen Kulturbetrieb bestimmen noch immer oft Mehrheitserfahrungen darüber, welche Narrative gehört und welche Perspektiven vermittelt werden.

Als Meded die Zusage für ihr Labor bekommt, ist sofort klar, dass die Aufarbeitung dieser Strukturen Teil der Auseinandersetzungen im Lab werden sollen. In gemeinsamer Arbeit mit Kolleg*innen, die sie über die Jahre in verschiedenen Lebensphasen kennengelernt hat, soll ein Film entstehen, der zweierlei verhandelt: die identitätspolitischen Reibungen der Gegenwart, in der einer in Deutschland aufgewachsenen Schauspielerin aus Bosnien viel zu häufig stereotype Rollen aufgedrängt werden. Aber auch die Kompliz*innenschaft ihres Netzwerks, die sie in der Zusammenarbeit auf die Probe stellen will. Meded will wissen, ob die Ohnmacht, die marginalisierte Minderheiten regelmäßig im Kulturbereich erfahren, sich mit einer guten Idee und einem diversen Cast in Handlungsfähigkeit übersetzen lassen.

Erste Ansätze liefert ein Film aus den 1950er Jahren. Les Maîtres fous dokumentiert die Praxis der Hauka Bewegung, bei dem das Nachahmen kolonialer Machtgesten als Form des Widerstands dargestellt wurde. „Uns ging es nicht um die politischen Implikationen des Films“, erklärt Meded. „Eher um das Nachstellen erlebter Situationen, das In-Szene-Setzen spezifischer Strukturen und eigener Erfahrungen.“ In langen Gesprächen hätte das Team die Figuren ihres Films ausgearbeitet, sagt sie. Hätten persönliche Geschichten fiktionalisiert und in einer Annäherung an die eigenen, teils schmerzhaften Erfahrungen etwas erstaunlich Lustiges kreiert.

In einer Szene, die sie mir in ungeschnittenem Zustand präsentiert, sitzt eine Gruppe kreativer Menschen zusammen und reflektiert das Ausmaß einer immer komplexeren Individualisierungsgesellschaft. Da ist das rothaarige „Rassismusopfer“, die Schwarze Umweltaktivistin, der weiße, nicht mehr ganz junge Mansplainer, der seine Weltläufigkeit und Erfahrung gerne mit anderen teilt, die „jugoslawische“ Frau mit Fluchterfahrung, die sich nicht sicher ist, welcher Minderheit sie denn nun eigentlich angehört. Vielleicht liegt die Komik des Films in der Autentizität seiner Charaktere. Vielleicht ist es die Tatsache, dass die erarbeiteten Szenen ebenso zugespitzt wie real sind.

Es sind wunderbar groteske Szenen, wenn der Mansplainer aus dem Kulturbetrieb sich zum Koksen mit dem Kultursenator auf dem Klo trifft. Berauschende Momente des Kollektiven, wenn ein Schamane die Kulturmenschen in einem Retreat dazu anhält, ihre negativen Energien in eine Aldi-Tüte zu packen und wegzuwerfen. Doch die unterhaltsame Erzählung spart an keiner Stelle mit ernst gemeinter Kritik – weil alles auf gelebter Erfahrung basiert. Sie steckt in der überzeichneten Darstellung individueller Bedürfnisse. In der Schwierigkeit, die eigenen Befindlichkeiten nicht ins Zentrum eines diversen Miteinanders zu rücken. Im Versuch, kreative Selbstreflexion nicht nur anzudeuten, sondern auch ernstzunehmen. In der Herausforderung, Situationen zu schaffen, in denen alle an einem Strang ziehen und Kreatives aus schmerzhaften Erlebnissen entwickeln.

Es sind ambitionierte Fragestellungen, doch Mateja Meded findet sie essentiell im Umgang mit marginalisierter Erfahrung: „Wann werden Schmerz und Trauma zum Selbstzweck, wie ist es möglich, diesen Moment zu erkennen, und wie entkommt man dem verengten Blick auf das eigene Leid?“

Wir sitzen in ihrer Küche. In weniger als zwei Stunden hat Meded eine Atmosphäre geschaffen, in der auch wir offen über unsere sehr unterschiedlichen Erfahrungen sprechen. Eine Schwarze und eine als weiß gelesene Frau. Eine, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und eine, die mit ihrer Familie hierher floh. Zwei Menschen, deren Ausgrenzungserfahrungen sich überschneiden, wie voneinander abgrenzen. Es ist kaum das eine Glas Champagner, das mich beschwipst macht. Es ist die Erkenntnis, dass es immer selbstverständlicher wird: gemeinsam von dekolonialen Welten zu träumen.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.