Damit die Freien Künste flüssig bleiben

Von Falk Schreiber

Zwei Montate nachdem der Fonds das Maßnahmenpaket #TakeThat aufgesetzt hat, Geschäftsführer Holger Bergmann im Gespräch mit Falk Schreiber über die angelaufenen Programme und weitere Bedarfe für die frei produzierende Theaterlandschaft. Das ganze Interview gibt es hier zum Nachlesen.

Holger Bergmann und Falk Schreiber sitzen sich an einem Tisch gegenüber. © Björn Frers

Holger Bergmann im Gespräch mit Falk Schreiber

Geschäftsführer Holger Bergmann im Gespräch mit Falk Schreiber über die angelaufenen Förderprogramme

Mit drei regulären Förderprogrammen und vier Antragsfristen befördert der Fonds Darstellende Künste in nicht-pandemischen Zeiten die freie Theaterlandschaft in Deutschland. In der Corona-Krise jedoch geht die Kurve an aufgelegten Förderprogrammen, Antragsfristen und vor allem Bedarfen steil nach oben: Mit #TakeThat als Teil von NEUSTART KULTUR der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien fördert der Fonds die Freie Darstellende Kunst in einer Ausnahmesituation.


Holger Bergmann, stellen wir uns vor: Ich bin ein*e Künstler*in und habe ein Projekt, das typisch für die Freie Szene zwischen den Genres liegt. Ich bewerbe mich also um eine Förderung – wie funktioniert das? Melde ich mich bei Ihnen? Schreibe ich erstmal einen Antrag?

Die Bewerbung ist online-basiert, man kann immer wieder an dem Online-Formular arbeiten, ergänzen, und wenn man konkrete Rückfragen hat, können wir auch gemeinsam in das Formular reinschauen. Gerade machen wir 100 Beratungstelefonate am Tag, zusätzlich gibt es Beratungs-Zooms. Außerdem gibt es unsere Internetseite, die ist hoffentlich ziemlich stark selbsterklärend. Weil wir natürlich ein Interesse haben, dass jeder Antrag, der hier ankommt, auch einer ist, der zur Entscheidung gebracht werden kann. Und nicht deswegen nicht entschieden werden kann, weil etwas formal falsch gemacht wurde. Das ist in erster Linie unser Interesse. Und dann natürlich auch: Welcher Inhalt wird in welchem Förderprogramm am besten beantragt? Viel mehr machen wir nicht, dann gehen die Anträge zu unserem Kuratorium, und das nimmt nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den eingereichten Vorhaben eine Entscheidung vor.

Aber ganz konkret: Angenommen, ich habe den Kosten- und Finanzierungsplan falsch gemacht? Oder ich habe mich für ein Programm beworben, das gar nicht passt, während ein anderes viel besser passen würde? Gibt es Formen der Rücksprache? Oder heißt es »Falsche Schublade – raus«?

Früher gab es diese Rücksprache zu 100 Prozent. Wir haben tatsächlich bei allen, die einen Antrag gestellt haben, nachgefragt. Im aktuellen Prüfverfahren haben wir rund 4.000 Anträge zum #TakeThat-Programm erhalten, es laufen noch drei weitere Programme und auch weitere Antragsrunden sind geplant. Angesichts der zu bewältigenden Antragsmasse müssen wir hier eine Grenze ziehen: Wir werden hier einen oder zwei Fehler nachfragen, bei drei Fehlern nicht mehr. Es geht nicht um kleinere Nachlässigkeiten, sondern um elementare Bestandteile, die fehlen.

Allein elf Programme unter dem Dach #TakeThat, das Förderprogramm AUTONOM zur Verbindung von Künstlicher Intelligenz und Performance, GLOBAL VILLAGE LABS zur Förderung von Arbeiten im ländlichen Raum... Der Fonds Darstellende Künste arbeitet in unglaublich vielen Bereichen! Verzettelt man sich da nicht?

Ach, Angst vor dem Verzetteln habe ich nicht. Weil: Es geht um die Vielgestaltigkeit der Freien Darstellenden Künste. Und ich glaube, das kann man nicht mit einfachen Regeln oder Förderprogrammen machen, obwohl man das gerne hätte. Wir versuchen, mit diesem Auf- gefächerten so nah wie möglich an bestimmte Cluster der Freien Szene zu kommen. Wir haben eine genrespezifische Förderung – Theater für junges Publikum, Theater im öffentlichen Raum im Sinne von Straßentheater, Figuren- und Objekttheater. Dann haben wir ein Cluster, das Performance, Schauspiel und Musiktheater umfasst. Und wir schauen uns in bestimmten Bereichen an, wie Strukturen gefördert, unterstützt, befördert werden. Mit dem Programm #TakePlace können so strukturelle Projekte beantragt werden, die eine gewisse Nachhaltigkeit erzeugen. Beispiele: Man möchte sich mit einer bestimmten EDV ausrüsten. Oder man möchte sein Haus nach Umweltvorgaben zertifizieren – Sachen, die sich strukturell auswirken, indem man danach weniger Kosten hat. So etwas ist in der Kunst relativ schwierig, weil im Haushalt immer der Leitgedanke ist, etwas, das nicht stattfindet, nicht zu finanzieren. Zum Glück haben wir eine agile Szene, die sehr darum ringt, stattzufinden, die nicht stillsteht.

In Zeiten der Pandemie fordert die Politik den Stillstand allerdings explizit.

Genau. Aber die Szene macht gerade sehr viel, um trotzdem stattzufinden. Das ist sicher auch ein nicht immer zufriedenstellendes Ringen mit Formaten und Arbeitsweisen, aber man sieht doch, dass die ganze Zeit etwas versucht wird, dass etwas ausprobiert wird. Bestimmte Sachen im Stadtraum waren im Sommer möglich, zum Beispiel: Kris Verdonck fährt mit einer Hebebühne auf Fensterhöhe, um seine Kunst darzubieten. Sicherlich kann man nicht die gesamte Theaterlandschaft Deutschlands in solche Formate transportieren, aber es wird überlegt: Wie geht es mit Kunst und Kultur grundsätzlich weiter? Oder: Ein Gedanke, den man auch wieder verwirft, ist ein guter Gedanke! Und ich finde gerade diesen Laborcharakter wichtig – auch ein bisschen wegen meiner persönlichen Biografie.

Sie haben früher das Produktionshaus Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr geleitet und Festivals kuratiert. Hilft Ihnen beim Fonds Darstellende Künste, dass Sie selbst aus der Theaterpraxis kommen?

Ja.

So üblich ist das nicht.

Ach, das ist auch nicht unüblich, ehrlich gesagt. Christine Peters war Künstlerische Leiterin am Frankfurter Mousonturm, und jetzt leitet sie die Theaterförderung der Kunststiftung NRW. Ab einem gewissen Arbeitsalter in der Freien Szene stellt man einfach fest, dass es eine gewisse Erschöpfung gibt in Arbeitszusammenhängen und -zuständen. Und dass Wechsel immer eine positive Energie ist. Das haben uns die institutionellen Häuser voaus. Die gehen mit der positiven Energie des Wechsels anders um als die Freie Szene. In der Freien Szene ist so viel Herzblut und der Wechsel wird da oft als mangelnde Leidenschaft gesehen. Aus der Amour fou wissen wir, dass es aber manchmal auch genau das Gegenteil sein kann.

In den vergangenen Jahren ist der Fonds Darstellende Künste massiv gewachsen. Es gab einen personellen Zuwachs in der Belegschaft, auch wurde das Grundbudget deutlich erhöht.

Der Fonds hat 1986 angefangen mit einer Förderung, die damals noch bei 800.000 Mark lag. Und mein Vorgänger, Günter Jeschonnek, hat das dann mit sehr viel Engagement und mit sehr viel Kraft als einen Faktor in der freien Kulturszene mit entwickelt. Es war die Zeit der Innovation, des Modellhaften, die Freie Szene als der Nachwuchsbereich für die große Kunst. Als ich den Fonds 2016 übernommen habe, wanderte er von der Kulturstiftung des Bundes direkt zur Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Und jetzt ist es an der Zeit, sich grundsätzlich Gedanken zu machen: Wie geht es mit dem Fonds Darstellende Künste weiter? Ich denke, wir müssen klarstellen, dass wir keine Bittsteller-Förder-Organisation sind, in der man Anträge stellt. Sondern dass wir Programme entwickeln, die in der Szene bestimmte Wirkungen entfalten, sowohl bei den Künstler*innen wie auch in der Förderlandschaft. Dies haben wir mit der ersten produktionsunabhängigen Förderung der Initialförderung bereits getan oder auch mit einigen der letzten Sonderprogramme.

Bedeutet die Vergrößerung des Fonds Darstellende Künste eine erhöhte Wertschätzung der Freien Darstellenden Künste?

Grundsätzlich ist der Föderalismus zuständig für die Kulturförderung. Der Bund hat nur begrenzte Förderoptionen, da wo es um Kunst von gesamtstaatlicher Bedeutung geht. Und ja, die Freien Darstellenden Künste sind von gesamtstaatlichem Interesse, weil sie nicht rein ortsgebunden arbeiten. Natürlich ist Theater immer ortsgebunden, als Ort, wo ein Publikum hinkommt, aber die freie Szene produziert mit dem Blick auf die bundesweite und auch internationale Relevanz. Die Kommunen fragen oft, warum sie Netzwerke unterstützen sollen oder Festivals, die ein Programm zeigen, in dem Künstler*innen aus dem benachbartem Bundesland auftauchen? Auch finden es die Kämmerer*innen oft schwierig, wenn das »eigene« Stadttheater woanders spielt oder wenn Besucher*innen aus dem Nachbarort kommen, da heißt es schnell: »Die müssen sich dann auch finanziell beteiligen!« Und hier haben wir eine Szene, die gar nicht in dieser lokalen, regionalen Begrenztheit zu Hause ist! Da hat der Bund eine andere Verantwortung, und ich glaube, es ist uns gelungen, das deutlich zu machen.

Wenn ich mich mit Leuten aus der Freien Szene über ihre Arbeitspraxis unterhalte, dann höre ich oft: »Es läuft alles ganz gut, aber die Planungssicherheit ist nicht gegeben! Wenn einmal was ausfällt, dann stehen wir vor dem Nichts!« Die von Ihnen skizzierten Förderungen klingen sinnvoll, aber richtig durchgesetzt haben sie sich nicht.

Weil: Sie müssen im Föderalismus von der Länder- und Kommunenförderung aufgegriffen werden. Wir können Beispiele erzeugen, anhand derer Szenen argumentieren können, oder anhand derer man Kofinanzierungen entwickeln kann. Die erste Förderung über eine längere Strecke hat der Fonds 2009 unter meinem Vorgänger mit Hamburg entwickelt, die dreijährige Konzeptionsförderung. Das gab es vorher in den Bundesländern nicht. Mittlerweile ist es doch üblicher. Eine wichtige Aufgabe liegt in der Begleitung und Beförderung von Gruppen, die noch nicht ganz auf dem etablierten Level sind, aber anfangen bundesländerübergreifend zu produzieren und Gastspiele zu zeigen. Planungssicherheit muss eines der nächsten wichtigen Ziele sein.

Wir schauen mal positiv in die Zukunft und gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie in ein paar Jahren halbwegs unter Kontrolle ist – wie geht es weiter mit der Kulturförderung für die freie Szene? Und welche Rolle spielt dann der Fonds Darstellende Künste?

(Holger Bergmann nimmt sich eine Glaskugel vom Schreibtisch und starrt intensiv rein) Das mit der Zukunft ist so eine Sache. Wir versuchen immer, viel zu planen und wissen doch nie, wie sie aussehen wird. Aber ein Gedanke ist, dass sich so ein Element wie eine Arbeitsprozessförderung statt einer Projektförderung durchsetzt. Dass wir sagen: Wir fördern jetzt Arbeitszusammenhänge von Künstler*innen, die an einem Projekt, an zwei Projekten oder auch an gar keinem direkten Projekt arbeiten. Und vielleicht sehen wir eine solche Förderung in Zukunft häufiger. Wir investieren in Ideenreichtum und Formatreichtum der Kunst statt in eine Bühnenausstattung mit Sprache, Mimik, Aufführung und Gesang. Das kann manchmal rauskommen, es kann aber auch was anderes rauskommen. Wir fördern bewusst das, was in den Freien Darstellenden Künsten immer schon ein Kernpunkt war: Gratwanderungen zwischen verschiedenen Bereichen, Öffnung zu interdisziplinären Kunstformen. Wir als Bundesförderer sind ja nur eine ganz kleine Fördereinheit, das meiste Geld fließt über die Bundesländer und über die Kommunen in die Szene – aber da können wir Künstler*innen unterstützen und sichtbar machen und damit etwas bewegen.


Das Interview führte Falk Schreiber am 12. November 2020.