Dem White Gaze begegnen

Von Marny Garcia Mommertz

Wie kann ein kollektiver Versuch aussehen, sich in künstlerischen und sozialen Praxen dem White Gaze zu entziehen? Keith Zenga King hat das Labor „Collective (un)learning spaces“ kuratiert und sich mit BI*POC-Kolleg*innen über die Dezentrierung des Eurozentrismus ausgetauscht. Hier geht es zum Beitrag von Marny Garcia Mommertz.

LABOR – Collective (un)learning spaces

Im September 2022 entstanden in vier angeleiteten kreativen Workshops Safer Spaces, in denen sich Künstler*innen, Kulturarbeiter*innen und Produzent*innen ausgetauscht haben. Unter der kuratorischen Leitung von Keith Zenga King ging es darum, sich an mögliche Antworten auf folgende Fragen heranzutasten: Wie können sich BI*POC-Künstler*innen in weißen Räumen bewegen? Wie können sie sich und ihrer Arbeit treu bleiben, wenn Anpassungsdruck sie in vielen Situationen zu Kompromissen zwingt? Wie können sie sich dem White Gaze entziehen?

Organisiert wurde das Labor von der Organisation BITTER (SWEET) HOME (B(S)H), Pathos München und Künstler*in Keith Zenga King. Es fand in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und erst bei einem abschließenden diskursiven Programm, das von Sara Bergh moderiert wurde und nun auf YouTube zu sehen ist, teilten die Kunstschaffenden ihre Eindrücke und Gedanken.

13 people on a sofa in a studio. One of the people takes a selfie of the people. © Julia-Huda Nahas

„Wir haben versucht, zusammenzukommen und nicht an Lösungen zu arbeiten, sondern einen Raum des Teilens zu schaffen”, sagt Isaiah Lopaz, Leiter des Workshops „Strategies of Care and Resistance”. Die Herangehensweisen der Teilnehmenden verband, dass in ihren jeweiligen Praxen die gelebten, rassifizierten Erfahrungen von zentraler Bedeutung waren. Der geschützte Raum, in dem sie sich austauschten, war extrem wichtig, damit sie den künstlerischen Blick ohne Erwartungsdruck von Außen – ohne den Blick eines weißen Publikums oder weißer Institutionen – auf sich selbst richten konnten. So entstand ein Raum, der auch die Möglichkeit bot, den eigenen internalisierten White Gaze zu dekonstruieren.

Doch wie kann Eurozentrismus überhaupt dekonstruiert werden, ohne dass er weiterhin im Mittelpunkt steht? Der Ansatz des transdisziplinären queeren Künstlers Isaiah Lopaz zeigt Wege auf. Anstatt aktiv zu dekolonisieren, versucht Lopaz in seinen Arbeiten herauszufinden, wie er sie afrikanisieren und kreolisieren kann. Seine Performance- und Gesprächs-Reihe Spheres & Circles Circles & Spheres etwa gibt den vielfältigen Facetten von Schwarz,- und Gay/Queer-Sein Raum, da die Teilnehmenden sich unter anderem auf afrodiasporische und indigene Traditionen und Erfahrungen beziehen. Diese Herangehensweise sei für ihn schlüssig, weil die Konsequenzen von Eurozentrismus und dem damit verbundenen Kolonialismus eng mit seiner Lebensrealität verwoben sind. Lopaz’ afrikanische Vorfahren wurden versklavt in die USA verschleppt, seine indigenen Vorfahren leben bis heute auf kolonialisiertem Land. Auf der Basis der eigenen Erfahrung lud er die Teilnehmenden des Workshops „Strategies of Care and Resistance“ dazu ein, die Lebensrealität der eigenen Vorfahren und von BI*POC-Kunstschaffenden und Akademiker*innen als Referenzpunkte für die eigene Arbeit zu nutzen.

Auf die Frage zur Dekonstruktion antwortete die Künstlerin Yara Richter, dass die eigentliche Arbeit außerhalb Europas stattfände. Ihre Aufgabe als Schwarze Deutsche sei es, die entsprechenden außereuropäischen Arbeiten sichtbarer zu machen. Etwa von Künstler*innen wie Darlyne Komukama. Sie berichtete im Workshop Creating from your center und im öffentlichen Programmteil von ihrer Arbeit als queere Schwarze Femme in Kampala. Mit ihrer Arbeit versuche sie, Orte der Freude für und mit ihrer Community in Uganda zu schaffen, sagte sie. Und an die in Deutschland lebenden Panelist*innen sowie das Publikum gerichtet: „Ihr lebt hier mit den Kolonialist*innen.“ Damit weist sie darauf hin, wie unterschiedlich der Akt des Dekolonialisierens – abhängig vom jeweiligen Kontext – aussehen kann. Richter versuche sich in ihrer Praxis von dem Nachlass, den europäische Kolonialist*Innen in Uganda hinterlassen hätten, zu befreien. Ihre Werke, sagt sie, stünden dadurch in direkter Opposition zu dem kolonialen Gedanken, dass Personen wie sie nicht menschlich seien.

So wie die Panelist*innen sich auf individuelle Weise mit Eurozentrismus auseinandersetzen, fordern sie, dass sich auch die Institutionen selbst an die Arbeit machen müssten. Das findet auch Julia-Huda Nahas, Gründerin von BITTER (SWEET) HOME (B(S)H), die eine Umstrukturierung der Förderlandschaft für notwendig hält. Eine konkrete Forderung, die sie an Fördergeber*innen stellt, ist eine verbesserte Zugänglichkeit. Insbesondere große Töpfe bräuchten diverse Kriterien, um zu vermeiden, dass marginalisierte Künstler*innen nur Chancen bei trans- oder interkulturellen Förderungen hätten. Um mehr marginalisierten Künstler*innen das subventionierte Arbeiten zu ermöglichen, müssten sich die Strukturen deutlich ändern, sagt Nahas. BI*POC-Kunstschaffende, die jahrelang in prekären Situationen leben, oft unbezahlt arbeiten und häufig Ablehnungen von Förderinitiativen erhalten, könnten zum Beispiel die gewünschten Nachweise einer öffentlichen Förderung oft nicht erbringen. Entsprechend müssten die Kriterien angepasst werden.

Ohnehin hätten zu oft weiße Kritiker*innen die Deutungshoheit über die Arbeiten von BI*POC-Künstler*innen. Dies zeige sich unter anderem in Jurys, die über die Empfänger*innen der Gelder entschieden und oft nicht divers besetzt seien. Hier, so Nahas, sei mehr Transparenz und eine zunehmende Vielstimmigkeit gefordert.

In diesem Sinne kann das Artist Lab von Keith Zenga King, B(S)H und Pathos München auch als Versuch gelesen werden, sich einen Moment lang den Anforderungen und Bewertungen potentieller Geldgeber*innen und Aufführungshäuser zu entziehen. Als Herantasten an Strategien für ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten in festgefahrenen Strukturen.

Marny Garcia Mommertz ist Autorin. Im Rahmen ihres Fellowships von PACT Zollverein erforscht sie experimentelle und alternative Formen des Archivierens. In ihrer kuratorischen Praxis und als Managing Editor des Magazins C& América Latina interessiert sie sich für afrodiasporische Künste.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.