Die hörende Kulturlandschaft zum Zuschauen bewegen

Von Franziska Winkler

Welche strukturellen Veränderungen braucht der Kulturbetrieb um Tauben Künstler*innen mehr Sichtbarkeit zu geben und was könnten dementsprechende Strategien sein? Beim Artist Lab Signs tauschen sich Taube Künstler*innen und Interessierte über diese Themen aus und stellen erste Forderungen. Ein Beitrag von Franziska Winkler.

LABOR – Signs

Im August 2022 kamen zahlreiche Taube und hörende Künstler*innen und Theaterschaffende zum Artist Lab Signs zusammen – ein Labor für Künstlerische Forschung in Deutscher Gebärdensprache und Lautsprache. In Workshops, Vorträgen und Foren tauschten sich Expert*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen zu Themen der Künstlerischen Praxis von Gebärdensprachlicher Kunst aus. Wichtige Fragen der Sichtbarkeit Tauber[1] Performer*innen wurden besprochen, wie barrierefrei die Förderlandschaft der Darstellenden Künste aussieht und woraus die eigene künstlerische Praxis besteht, aber vor allem wie diese mehr Sichtbarkeit bekommt.

Initiiert wurde das Lab von Sophia Barthelmes, einer hörenden Regisseurin, die bereits seit einigen Jahren mit Tauben Künstler*innen zusammenarbeitet. Gemeinsam mit Dodzi Dougban, einem Tauben Tänzer und Choreographen, hat sie das Programm aufgestellt und führt durch die Tage. Er leitet während des Labs den Deaf Artist Space – ein Safe Space nur für Taube Performer*innen.

Das Lab findet im Gehörlosen Zentrum in der Friedrichstraße in Berlin Mitte statt, ein bekannter Ort für die Community und doch frage ich mich, ob genaue dieses Lab nicht an einer hörenden Institution der Theaterszene stattfinden sollte. Beim Betreten des Raumes fällt mir auf, dass es größtenteils bekannte Gesichter der Tauben und Gebärdensprachlichen Community sind, die hier zusammenkommen. Es ist gut und wichtig einen Raum zu schaffen, um hier in Austausch zu kommen, der nächste Schritt ist dann aber, die Ergebnisse an die hörend dominierten Institutionen weiterzugeben, dort wo die Entscheidungen getroffen werden.

Eine gebärdende Person. Hinter ihr eine Projektion. Darauf Text zum Thema Untertitel und Accessability. © Lab Signs

Der erste Vortrag zeigt auch direkt auf, warum es wichtig ist, dass die hörende Welt mehr über die künstlerische Praxis von Tauben Performer*innen aufgeklärt wird. Corinna Brenner, eine Taube Dolmetscherin hält den Vortrag „Übersetzung von künstlerischen Beiträgen – dürfen Taube Performende immer nur übersetzen?“. Der Titel macht deutlich, welche Hierarchien oft in den Darstellenden Künste herrschen, wenn es um die Sichtbarkeit von Gebärdensprache auf der Bühne geht. Durch aktivistische Gruppen wie Deaf Performance Now, die über die bisherigen Missstände im inklusiven Musikdolmetschen öffentlich aufgeklärt haben, verändert sich langsam das Bild und Taube Performer*innen rücken mehr und mehr in den Fokus. Hierbei ging es darum, dass oftmals für das Übersetzen von Musik (aber auch von Theaterstücken) auf den Bühnen, hörende Gebärdensprachdolmetscher*innen eingesetzt werden und eine enorme Aufmerksamkeit dadurch erhalten haben. Die Forderung der Gruppe und Tauben Community ist es hingegen, dass mehr Taube Performer*innen auf die Bühne kommen. Es gibt viele Taube Menschen, die künstlerisch, poetisch und musikalisch aktiv sind. Sie sind aber nicht sichtbar für die Mehrheitsgesellschaft. Langsam verändert sich das Bild und Taube Performer*innen werden oft als Übersetzer*innen eingesetzt, ihre eigene Kunstform findet dabei jedoch nicht den entsprechenden Raum: In ihrem Vortrag geht Corinna Brenner noch einen Schritt weiter und fragt: Wann dürfen Taube Performer*innen nicht nur Übersetzen sondern auch ihre eigene Kunstform darstellen? Vereinzelt passiert dies schon und die anwesenden Künstler*innen sind gute Beispiele dafür, aber es ist eben noch viel zu tun.

Ein Beispiel hierfür: Während der Recherche zu diesem Artikel scrolle ich durch das Programm des B.A.L.L. – des Bundesweiten Artist Labors der Labore, dessen Veranstaltungen auch in Deutscher Gebärdensprache angeboten werden. Was mir aber ebenfalls ins Auge springt, obwohl eines der ausgewählten Labs in dieser Förderung das hier beschriebene Artist Lab Signs ist, ist, dass unter den Personen, die auf den Podien sprechen, nicht eine Taube Künstler*in dabei ist – es zeigt genau diese fehlende Sichtbarkeit auf.

Es muss mehr darüber aufgeklärt werden, was Gebärdensprachkünste sind, welche Facetten sie haben, dass Taube Künstler*innen Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Performer*innen, Poet*innen sind, dass es eigene Kunstrichtungen gibt, die neue Räume und Denkweisen der bisherigen Definitionen von Kunstgattungen aufmachen können. Damit werden nicht nur Taube Künstler*innen ausgeschlossen, sondern der Begriff der Kunst selbst wird verengt. Ein Schritt dahin ist das Empowerment von Tauben Künstler*innen, hier hat das Lab einen guten Ansatz hervorgebracht und erste Forderungen formuliert, die hoffentlich in einem größeren Rahmen Sichtbarkeit bekommen.

Während der zwei Tage wurde ein Manifest entwickelt, in dem wichtige Forderungen an die hörend dominierte Kultur-Institutionslandschaft gestellt werden. Unter anderem eine Finanzierung der Gebärdensprachdolmetscher*innen, die von der Projektfinanzierung klar getrennt wird und auch nicht zum individuellen Problem der Künstler*innen gemacht wird. Weitere wichtige Forderungen: Taube Künstler*innen an Häusern festanstellen, als Performer*innen – so können Strukturen aufgebaut werden, die es Tauben Künstler*innen ermöglichen ihre künstlerische Praxis mehr umzusetzen.

Eine gebärdende Person. Hinter ihr eine Projektion. Darauf Text zum Thema Do's und Don'ts im Umgang mit tauben Menschen. © Lab Signs

Den Abschluss des Artist Lab Signs bildete ein Podium, moderiert von den Ace Mahbaz, über die Zukunft der Tauben Darstellenden Künste, in dem das Manifest nochmal aufgegriffen und analysiert wurde. Der wichtigste Schritt, da waren sich die Panelist*innen einig, ist, dass sich die Förderstruktur verändern muss und Institutionen selbst Veränderungen hervorbringen müssen. Dafür braucht es aber feste Strukturen und enorm viel Aufklärung. Den Anfang macht die Zugänglichkeit von Förderungen – diese sind oft nicht barrierefrei gestaltet und auf die deutsche Lautsprache ausgelegt, was für viele eine erste Hürde darstellt, zusätzlich sind die Förderbedingungen zu hoch angesetzt für Taube Performer*innen, die die erforderlichen Nachweise auf Grund von mangelnder Struktur nicht aufbringen können. Ausgehend davon wurde auf dem Panel auch über Zugänge zu Ausbildungsmöglichkeiten für Taube Künstler*innen gesprochen, bisher gibt es zum Beispiel keine künstlerische Ausbildung, die auf Taube Menschen zugeschnitten ist, vom Zugang zu staatlichen Kunstausbildungen ganz zu schweigen. Ein Problem ist auch, dass kaum Taube Performer*innen von ihrer eigenen Kunst leben können, daher Brotjobs nachgehen müssen, dadurch aber oftmals Produktionsangebote nicht annehmen können – ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Ein Thema, das viel diskutiert wurde und auch im Manifest aufgegriffen wurde, ist die politische Strategie. Es fehlt an Struktur, die mehr Sichtbarkeit verschaffen kann – die Idee: ein Bundesverband für Taube Performer*innen, der anderes Agieren, vielleicht ja sogar neue Finanzierungen hervorbringen kann. Doch wer gründet diesen Verband – dies bedeutet viel politische Arbeit, sollte sie zwingend von den Tauben Künstler*innen durchgeführt werden? Ritta Mazza, Taube Performerin, machte hier einen wichtigen Punkt deutlich: Wenn sich alle erstmal ihren Platz erkämpfen, politisieren, aufklären, Strukturen aufbrechen müssen, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen, bleibt die künstlerische Praxis auf der Strecke, um die es doch vor allem geht. Die Strukturen müssen aufgebrochen werden, aber nicht von den Tauben Performer*innen selbst, sondern von den bestehenden Institutionen, Aufführungshäusern, Förderungen – dafür muss Tauben Performer*innen zugeschaut werden.

[1] Taub ist eine positive Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen, unabhängig davon ob sie taub, resthörig oder schwerhörig sind. Damit wird auch gezeigt, dass Taubheit nicht als Defizit angesehen wird. Es handelt sich hierbei um die Wiederaneignung eines Begriffes, der lange Zeit als abwertende Beschreibung verwendet wurde (reclaiming). Einige Mitglieder der Tauben Community verwenden inzwischen wieder das Wort ’Taub‘ für sich, weil es im Gegensatz zum Begriff ‚gehörlos‘ nicht schon im Wort selbst einen Mangel (‚-los‘) benennt.
Der Begriff ‚taub‘ wird von vielen Hörenden noch als negativ besetzt wahrgenommen, da sie ihn mit umgangssprachlichen Abwertungen für nicht-hören verbinden. Die abwertende und diskriminierende Haltung gegenüber Tauben Menschen oder die Marginalisierung von Gebärdensprache wird Audismus genannt.
Viele nicht hörende Menschen bezeichnen sich auch als gehörlos oder benutzen beide Begriffe. Um eine respektvolle Kommunikation zu ermöglichen, sollte immer erfragt werden, wie Taube Menschen genannt werden wollen und welche Kommunikationsmittel sie bevorzugen.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.