Die Kulturkolchose-Theaterwerkstatt

Von Steffi Kühn

Bedarf an kulturellem Angebot vor Ort gab es seitens junger Menschen genug. Kurzerhand initiierte der Verein Kulturkolchose Lehsten gemeinsam mit der Kirchgemeinde Möllenhagen und dem Kinderschloss Wendorf zwei Theaterworkshops – gefördert durch den Fonds Darstellende Künste im Programm GLOBAL VILLAGE KIDS. Initiatorin Steffi Kühn berichtet aus den beiden Projekten.

Der kleine Verein Kulturkolchose Lehsten e.V. agiert in Mecklenburg-Vorpommern in einem der ländlichsten Räume des Bundesgebietes. Einige der Vereinsmitglieder sind Schauspieler*innen, einen Theaterregisseur gibt es auch. Die Welt des Theaters ist also in dem kleinen Dorf Lehsten schon immer ein wenig zu Hause. Ausprobiert und umgesetzt wurde Einiges, so wurde ein alter Barkas umgebaut zu einem Hörspielkino, eine Naturbühne bespielt u.v.a.. Immer standen da neugierige Kinder und beobachteten das bunte Treiben. Es lag auf der Hand, wir machen was für die Kids hier, die keine Möglichkeit auf kulturelle Teilhabe oder gar Teilnahme haben. In der Schule Möllenhagen wurden offene Türen eingerannt, schnell war auch der Jugendtreff der Kirchgemeinde Möllenhagen mit an Bord. Die Leitung des Kinderheims lud zur Umsetzung direkt in das Heim ein.

Kulturva – Kultur und Kunst ist eine Heimat für alle Menschen

Im Hof der Büdnerei Lehsten herrscht Aufregung. Der Theater-Workshop hat Mittagspause. Lachende Kinder haben Hunger. Viel Energie wurde am Vormittag verbrannt und Einiges an Energie wird noch in den folgenden Stunden erzeugt.

Eine Woche können Kinder und Jugendliche sich erproben und in die Welt des Theaters eintauchen. In dem Workshop „Kulturva“, geleitet von den beiden Schauspielern Sandro Šutalo und Christian Bojidar Müller, werden klassische Theaterformen, Texte oder Sichtweisen aufgebrochen und für junge Menschen zugänglich gemacht. Sandro und Christian merken schnell, dass die Begeisterung der Kinder groß ist, viele der vorher ausgearbeiteten Methoden funktionieren, manche jedoch nicht. Gut, dass man zu zweit ist und bis in die Nacht hinein die Methoden anpassen und umstellen kann. Mit Hilfe von Improvisation, Choreografie, Musik und „klassischen“ Theatertexten wird eine kleine Performance erarbeitet. Bei der Aufführung blicken strahlende Kinderaugen und stolze Eltern zurück. Beim abschließenden gemeinsamen Pizzaessen gibt es reichlich Gesprächsstoff und ziemlich selbstbewusste Kinder, die sich nur eins wünschen: mehr davon hier auf dem Land, wo man sich sonst nur in der Bushaltestelle trifft.

Die beiden Schauspieler Sandro Šutalo und Christian Bojidar Müller stehen vor einem beigen Vorhang. Beide tragen ein schwarzes T-Shirt mit weißen "Kulturva"-Schriftzug © Heike Sählbrandt, Wanda Möller

Schauspieler zu ihren Erfahrungen

„Es gab viele Momente, die mich während des Workshops beeindruckt haben. Wie sozial die jungen Menschen untereinander waren, wie hilfsbereit, wie sie wirklich versucht haben einander zu akzeptieren und aufzufangen. Wie sehr sich die Gruppe ihren Unsicherheiten und Ängsten gestellt und den hohen Berg der klassischen Sprache erklommen hat.“ Sandro Šutalo
„Es ist einfach jedes Mal schön zu beobachten, wie junge Menschen ihre eigenen Zugänge zu Kunst und Kultur finden. Klassische Texte sind ohne spielerischen Ansatz für junge Menschen schwer zugänglich und verkümmern oft als trockener Stoff unter der Schulbank. Indem wir bei Schüler*innen so früh wie möglich die spielerische Fantasie wecken, erleichtern wir nicht nur den Zugang zu diesen Stoffen, sondern bringen ihnen auch bei, wieviel Spaß man als Gruppe mit den alten Schinken haben kann.“ Christian Bojidar Müller

Der Wut einen Ausdruck geben – ein Versuch

Setting, Ort, Teilnehmende – alles ist anders beim zweiten Workshop. In einem Kinderheim begeben sich Mädchen, größtenteils traumatisiert, auf eine Reise. Das Thema „Weibliche Wut“ soll dabei Dreh- und Angelpunkt der theaterpädagogischen Arbeit sein. Welches Mädchen, welche Frau hat den Satz „Jetzt sei doch nicht so hysterisch“ nicht schon einmal gehört, wenn sie wütend war. Weibliche Wut ist mit Scham und Unsicherheit verknüpft und unterliegt nach wie vor noch Rollenbildern, aus denen wir uns gerade erst langsam herausschälen. So dachten wir, müssten wir den Mädchen in einem geschützten Raum die Möglichkeit geben, ihre Wut zu entdecken, sie darin zu ermutigen, der eigenen Wut einen berechtigten Platz zu geben. Nur sind diese Mädchen bereits wütend, was aufgrund ihrer Viten auch kein Wunder ist. Das heißt, erst mal viele Gespräche, einzeln und in der Gruppe, sensibel vortasten, Vertrauen schaffen. So manche erzählte Geschichte eines Mädchens verfolgt die Workshopleiterin und Schauspielerin Lisa Marie Stojčev bis in die Nacht. Durch ein breites Repertoire an Methoden und Flexibilität in der Begleitung der Gruppe gelingt es schließlich. Die Mädchen öffnen sich, am Ende steht sogar eine kleine Performance. Wichtiger sind jedoch, das Empowern und die Anerkennung der Mädchen. Die Mädchen bitten Lisa zum Abschied wiederzukommen, weiterzumachen.

In einem Probenraum üben fünf weibliche Jugendliche eine Szene. Drei Jugendliche sitzen auf Holzstühlen. In der Mitte von ihnen steht eine Jugendliche mit einem Textbuch in der Hand. Vor ihnen liegt eine Jugendliche auf dem Boden. © Heike Sählbrandt, Wanda Möller

Schauspielerin zu ihren Erfahrungen

„Jedes Mädchen hat auf ihre eigene Weise Ängste und Hemmungen überwunden, ist ins Theaterspielen hineingesprungen und hat dabei Mut und Selbstbewusstsein erfahren. Auch als Gruppe, die zusammenlebt, sind sie sich neu begegnet und haben Verbindung und Unterstützung miteinander, durcheinander erlebt. Das zu beobachten, war sehr beglückend und kraftvoll. “ Lisa Marie Stojčev

Mit GLOBAL VILLAGE KIDS fördert der Fonds Darstellende Künste Projekte an der Schnittstelle von Darstellenden Künsten und Kultureller Bildung in ländlichen und digitalen Räumen, finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung “.

Das Projekt Kolchose Theater Werkstatt wurde in den Sommer- und Herbstferien 2023 in Möllenhagen/ Mecklenburg Vorpommern mit Kindern und Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren durchgeführt.

Weitere Informationen zum Projekt.