Empowerment für die Künste

Von Georg Kasch

Das Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft“ gibt wichtige Anregungen, wie die freien darstellenden Künste nach Corona arbeiten können sollten

Lässt sich aus der Corona-Krise und ihrer Bewältigung etwas lernen? Im Fall der freien darstellenden Künste sogar sehr Konkretes, wie beim Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft“ deutlich wurde. Präsentiert wurden dort die Ergebnisse des Forschungsprogramms, das die NEUSTART-KULTUR-Förderung begleitete, welche vom Fonds Darstellende Künste als #TakeThat-Programme an Künstler:innen, Gruppen und Häuser der Freien Szene ausgereicht wurde. In den zwölf Teilstudien forschten die elf Wissenschaftler:innen im Forschungsprogramm des Fonds. Beim Symposium waren sie gebeten, Handlungsempfehlungen vorzustellen – damit am Ende vom Geld mehr bleibt als die Rettung einer Szene. Bestenfalls: ihre Transformation.

Transformation war eines der meist genannten Wörter des Symposium-Tages. Wie in vielen anderen Bereichen hat die Corona-Pandemie auch im Fall der Freien Darstellenden Künste als Brennglas gewirkt und gezeigt, was im Argen liegt – und nicht zuletzt, wie verletzlich die Kunstszene ist.

Entsprechend zielten viele Vorschläge darauf ab, die Freien Darstellenden Künste resilienter zu machen. Dass die Projektförderung, derzeit das vorherrschende Fördermittel, oft zu kurz greift, weil sie nur auf das Produkt abzielt und den Prozess ignoriert, wurde während der Lockdowns sehr deutlich. Entsprechend sehen die großen Linien einer anderen Förderlogik aus, die Aron Weigl in seiner Teilstudie zeichnete: weniger Förderdschungel und klarere Förderstrukturen – noch ist allein das Antragswesen oft eine Wissenschaft für sich. Stipendien, damit die eingehende Erforschung eines Themas nicht mehr nebenher laufen muss. Mehrjährige Formate für mehr Planungssicherheit und die Kontinuität. Nachwuchsförderung.

Wie wichtig mehrjährige Förderungen und das Ermöglichen von Kooperationen sind, zeigten Philipp Schulte und Kai van Eikels (mit Laura Pföhler und Christoph Wirth) in ihren Präsentationen. Schulte konstatierte, dass künstlerische Praxis mehr Zeit und Raum brauche. Oft seien Premieren lediglich eine Art Auskopplung aus der langfristigen Forschung, an der Künstler:innen arbeiten. Diese Forschung müsse gewürdigt und gefördert werden. Van Eikels, der anhand der während der Lockdowns entstandenen Netzformate einen neuen Begriff von Liveness entwickelt, fordert, dass kollektive Prozesse gefördert, Gruppen stärker untereinander vernetzt werden und die Teilnehmenden so von der gewonnenen Expertise der anderen profitieren können.

Zumal Netzwerke, wie Veronika Darian (mit Melanie Gruß und Verena Sodhi) darlegt, auch eine Art künstlerisch-soziales Sicherheitsnetz bilden und eine Form des Empowerment für die Künstler:innen darstellen können. Damit sie Kooperations-Fähigkeiten ausbilden können, müsste das zum Beispiel an den Kunsthochschulen auch gefördert werden, wo momentan noch der Konkurrenzdruck regiert.

An einer Glasscheibe hängt ein Plakat. Neben dem Plakat kann man durch die Scheibe den Veranstaltungsraum sehen, in dem ein Publikum sitzt, davor eine Bühne auf der zwei Menschen im Gespräch sind. © Foto: Dorothea Tuch

Im Raum steht zudem eine Art Grundsicherung jenseits von Hartz IV, eine Lebens- und Arbeitsleistungs-Anerkennung, eine Altersabsicherung, wie in den Ergebnissen der Studien deutlich wurde, die Thomas Schmidt leitete. Beeindruckend seine visuelle Darstellung der aktuellen Förderzusammenhänge, die eher an ein Myzel als an die mehrfach beschworene Förderarchitektur erinnert. Nur stellen seine Vorschläge für eine Reform eher eine Revolution dar. Für die Förderinstitutionen, weil Schmidt eine radikale Umverteilung der Mittel auf neue, zentralisierte Institutionen (wie eine Investitionsbank nach KfW-Vorbild) vorschlägt.

Und für die Künstler:innen, weil das skizzierte System viele Fragen aufwirft, etwa danach, wer definiert, wer als Künstler:in anerkannt wird. Zumal die Forderung nach einer Steigerung der Mittel für die Freie Szene bis 2032 um 15 Prozent (auf 450 Millionen Euro) und bis 2048 um 30 Prozent (auf 900 Millionen Euro) vermutlich auf einen Konkurrenzkampf mit den Stadt- und Staatstheatern hinauslaufen dürfte.

Schmidts Studienergebnisse, das wurde in den Pausengesprächen klar, sind die umstrittensten des Symposiums, enthalten aber auch viel Diskussionsfutter. Deutlich wird, dass es wirklich eine aufeinander abgestimmte, miteinander verzahnte Förderarchitektur braucht, in der sich die Angebote von Kommunen, Ländern und Bund logisch ergänzen. Und dass – eine weitere wiederholte Forderung – die Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden müssen, ihren Anteil an der Förderung beizutragen, ohne dass dafür eine Kita schließen muss.

Für NEUSTART KULTUR hat der Bund viel Geld bereitgestellt. Das war nicht unumstritten, schon wegen Artikel 30 des Grundgesetzes, der die Kulturhoheit bei den Bundesländern verankert. Unter welchen Umständen der Bund sich auch weiterhin engagieren könnte, zeigte Julius Heinecke (mit Ko-Autorin Johanna Kraft): etwa für Themen, die bundesweite oder internationale Relevanz haben, das kulturelle Erbe oder auch Zukunftsbereiche wie Künstliche Intelligenz umfassen, aber auch Projekte und Künstler:innen im ländlichen Raum. Dabei betonte Heinecke, wie wichtig es sei, gerade bei Förderungen von Projekten mit bundesweiter Relevanz die gesamte Bevölkerung miteinzubeziehen.

Zwei seiner – äußerst sinnvollen – Forderungen: Kultur von der freiwilligen Leistung zur Pflichtaufgabe zu machen. Und Kultur als Querschnittsaufgabe in allen Ressorts einer zukünftigen Bundesregierung zu verankern, damit sie auch in der Wirtschaft und im Sozialen mitgedacht wird. Was dann wirklich einem völligen Perspektivenwechsel gleichkäme und vermutlich mehr Wirkung entfalten würde, als – siehe Thomas Schmidt – ein neues, zentralisiertes und zugleich bürokratisiertes System zu entwerfen. Dann kämen die Künste nämlich wirklich in der Mitte der Gesellschaft an – und wären so gegen die nächste Pandemie gewappnet.