„Es kann keine einfachen Positionen geben“
Von Elisabeth Wellershaus
Am 24. Mai startet der Fonds Darstellende Künste eine Programmreihe, die Menschen an neun Stationen in acht deutschen Städten in und rund um die Theater zu Performance, Workshops und Austausch einlädt. Bei den Bundesweiten Foren wird es um große Begrifflichkeiten wie Demokratie und Freiheit gehen, um widersprüchliche Perspektiven, um Begegnung und um Kunst. Im Gespräch mit Elisabeth Wellershaus spricht Holger Bergmann, Geschäftsführer des Fonds, über die Hintergründe zu DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN.
Elisabeth Wellershaus: Euer Programm setzt sich mit demokratiefeindlichen Entwicklungen in Deutschland auseinander und will Begegnungsmomente schaffen. Aber um Menschen in die Auseinandersetzung zu bringen, müssen sich auch die Institutionen bewegen. Ist dieser Gedanke Teil eures Ansatzes?
Holger Bergmann: Auf jeden Fall. Um über diese Dinge diskutieren zu können, müssen wir uns auch als Institutionen in Bewegung setzen. Anders als bei den vorherigen Bundestreffen wird dieses Projekt also nicht an einem zentralen Ort stattfinden, sondern nach Dresden, Berlin, Leipzig, Potsdam, Weimar, Bitterfeld-Wolfen, Erfurt und Düsseldorf reisen und ein an den Orten ausgerichtetes Programm anbieten. Die Idee der Bundesweiten Foren ist ja im Geiste der Coronahilfen entstanden. Und seit der Pandemie haben wir eine erschreckende Verbreitung von rechtem Gedankengut erlebt. Als Institution mussten wir feststellen, dass die Unfähigkeit, andere Standpunkte auszuhalten, zugenommen hat, dass es immer schwieriger wird, in den Austausch zu gehen und gedanklich in Bewegung zu bleiben. Immer wieder gilt es zu verhandeln, wie wir als Gesellschaft, Institutionen und Künstler*innen mit verhärteten Positionen umgehen wollen. So ist die zentrale Frage für unser Projekt entstanden: Wie lassen sich Räume für konstruktive Auseinandersetzungen wiederherstellen?
Einerseits werden gerade viele Erwartungen an Kunst und Kultur gestellt, wenn es um bestimmte Themen geht. Andererseits brauchen Künstler*innen geschützte Räume, um ihre Kunst unabhängig produzieren zu können. Wie geht ihr mit diesem Konflikt um?
Ein Großteil unserer Arbeit besteht ja darin, freie Produktionen zu sichern und zu unterstützen – und zwar nach künstlerischer Selbstbeauftragung. Wir machen keine Programme zu Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität, sondern wollen Diversität in der Förderung von künstlerischer Praxis abbilden. Wir versuchen, sensibel auszuschreiben, setzen auf diverse externe Perspektiven und schaffen Räume für Arbeiten, die es im aktuellen Klima schwer haben. Ein Beispiel ist die Produktion LECKEN des Künstler*innen-Kollektivs CHICKS, die beim Wildwechsel Festival in Zwickau aus finanziellen Gründen ausgeladen wurde. Rechtsextreme Politiker*innen und Gruppierungen hatten damals immens gegen das Stück gehetzt und es öffentlich diskreditiert. Für solche Arbeiten soll diese Veranstaltungsreihe Rahmen schaffen. Wir wollen darüber nachdenken, warum beispielsweise Themen wie Gender und Queerness bis heute ein Feindbild darstellen. Denn wir wissen ja, dass es bereits in den 1920er Jahren ein durchaus präsentes queeres Leben an Orten wie Berlin gab, an einigen Stellen vielleicht sogar ein progressiveres als heute. Warum dieses Thema also immer wieder aus rechtspopulistischer Perspektive missbraucht wird, warum die Freiheit, sein Leben und seine Sexualität selbstbestimmt zu gestalten, als gefährlich gilt: Das ist im Zusammenhang mit schützenden Räumen eine der Fragen, denen wir nachgehen wollen.
Es geht in DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN um Demokratiebildung und den Widerstand gegen rechte Hetze. Themen, mit denen ihr auch Menschen erreichen wollt, die nicht zum Stammpublikum der Freien Szene zählen. Wie wollt ihr das genau machen?
Ganz pragmatisch und schon durch die Auswahl der Orte, zu denen wir einladen. Wir haben neben den freien Kulturorten auch die Stadttheater adressiert. Außerdem bewegen wir uns durch Gegenden, die von Kunst und Kultur oft übersehen werden. Wir gehen nach Bitterfeld-Wolfen oder nach Erfurt, und zwar nicht nur in die Spielstätten, sondern in die Städte selbst – in Erfurt etwa mit dem Phoenix Festival in die Plattenbausiedlung. Von Anfang an hat uns die Frage umgetrieben, wie man es schafft, Veranstaltungen an diesen Orten offen zu gestalten. Wir haben beispielsweise einen Truck, der mit uns durchs Land reist und allen zugänglich sein wird. Auf der offenen Ladefläche kann das Publikum sitzen, sich davor begegnen, Kaffee trinken, einfach zusammen sein. Eine Person, die mich sehr geprägt hat, sagte mal: Kunst beginnt mit dem Grill, den man aufstellt. Und mir leuchtet das absolut ein. Das Angebot zu Kunst zu verführen muss eines sein, das auf breiter Ebene verstanden wird, das ein- nicht ausschließt. Nach diesem Motto hat auch das Kurator*innen-Team um Felizitas Stilleke, mit Franziska Werner und Fabian Lettow gearbeitet.
Wie werden künstlerische und diskursive Ansätze aussehen?
Unter anderem gehen wir in Dialog mit Autor*innen wie Şeyda Kurt, Heike Geißler oder Mirna Funk diskutieren in Leipzig über Hass, die Politik der Gefühle und über Strategien und Handlungsräume gegen rechts. Wir zeigen Stücke wie Sunny Sunday von Lina Majdalanie und Rabih Mroué, die sich mit politischen Narrativen und Symbolen beschäftigen. Oder in Berlin „The Last Supper“ der Gruppe MEXA, die in einer Obdachlosen-Unterkunft in São Paulo entstand und sich mit Neurodiversität auseinandersetzt. Und es wird den unmittelbaren Austausch mit dem Publikum geben. Es soll zusammen gegessen, gestritten, gestaltet werden – unter anderem wird Tanja Krone mit Workshops und einem MECKER-Chor daran erinnern, dass Streit ein wesentlicher Teil demokratischer Prozesse ist.
EW: Übungen zum Aushalten gegenwärtiger Widersprüche sind also Teil des Programms?
Zumindest wollen wir versuchen, alle Menschen mitzunehmen, die wirklich noch daran interessiert sind, in den echten Austausch zu gehen. Uns interessiert, an welchen Stellen Meinungsbilder eben noch nicht abgeschlossen sind, wo Bewegung noch möglich ist. Es geht uns nicht darum, homogene Meinungen abzubilden, sondern die vielbesungene Kraft der Vielfalt zu erproben. Es kann schließlich nicht sein, dass wir als Fonds einerseits versuchen, Vielfalt und Beweglichkeit in den Freien Künsten zu fördern und andererseits Positionen und Meinungen einfordern, die an politische Erwartungen gebunden sind.
EW: Viele Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen in Deutschland bewegen sich seit Monaten durch vermintes Debatten-Terrain. Wie geht ihr bei einem Format, das größtmögliche Offenheit sucht, mit inhaltlicher Konfrontation um?
Man gerät momentan ja oft in Situationen, die überraschen, die sich nicht vorhersehen lassen und denen man sich stellen muss. Ein Signal, das wir als Institution mit unserem Programm an alle Beteiligten senden wollen ist, dass es einfache Positionen schlicht nicht gibt, nicht geben kann. Positionierungen haben immer etwas mit den Menschen zu tun, die sie verlautbaren, mit ihren Standpunkten, Lebensumfeldern, Erfahrungen. Sie sind durch politische Kulturen, Denkströmungen, Traditionen geprägt. Die vereinfachten Lesarten, die sich zum Beispiel in vergangenen Monaten gezeigt haben, sobald irgendwo das Kürzel IHRA oder der Slogan Free Palestine auftauchten, greifen natürlich viel zu kurz. Oft waren und sind es inhumane Zuspitzungen, die Leid immer nur aus einer ganz bestimmten Blickrichtung wahrnehmen wollen. Ich finde das weder aus politischer noch aus persönlicher Perspektive gerechtfertigt. Es sei denn, es liegt ein Erfahrungshorizont vor, der stark vom Trauma geprägt ist. Gleichzeitig gibt es einen bestimmten Aufmerksamkeitsmarkt für Polarisierungen, die etwa deutlich sichtbaren Antisemitismus nicht wahrnehmen wollen oder rassistische Diskriminierungen von rechts reproduzieren. Wichtig bleibt deshalb die Erkenntnis: Krieg ist ein Instrument, das Menschen allerorts dazu bringen kann, bestimmte Radikalisierungen, Zuspitzungen und Abgrenzungen gegenüber anderen zu entwickeln. Und es liegt eine große Gefahr darin, wenn eine mittelbare Nicht-Erfahrung zur Haltung wird, die in einer breiteren Öffentlichkeit vertreten wird, die abseits des Kriegsgeschehens stattfindet. Wenn wir das zulassen, dann lassen wir die Logik des Krieges zu – und die Logik des Populismus. Deshalb interessiert uns bei diesem Projekt: Wie verhalten wir uns hier vor Ort direkt miteinander und unmittelbar zueinander?
Ihr beschäftigt euch mit sozialer und politischer Beweglichkeit. Und in dem Zusammenhang fällt oft das Wort wir. Wer genau ist dieses wir? Und hat es, bei aller Sehnsucht nach Verbundenheit, Begegnung und Gemeinschaft, auch Grenzen?
Gute Frage. Sie zu beantworten ist ja letztlich eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Als Demokratie sind wir aktuell gefragt, wie sich eine Gesellschaft neu denken lässt, die nicht den Reflexen des Nationalgedankens oder der normativen Zugehörigkeitslogik folgt. Rechtsextremen und rechtspopulistischen Entwicklungen muss man sich also selbstverständlich entgegenstellen. Wer solche Ansichten verbreitet, will ja selbst nicht Teil eines diversen Wirs sein, will die Schwierigkeiten gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse nicht aushalten und sieht auch das Schöne darin gar nicht. Die Politik ist an erster Stelle gefragt, damit umzugehen. Aber auch die Kultur hat Spielräume. Zur Auftaktveranstaltung von DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN spricht Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Dass es dieses Amt überhaupt gibt, markiert bereits, dass ein Wir immer wieder neu verhandelt werden muss. Uns interessiert auch das Politische jenseits der Kunst: die großen kulturpolitischen Debatten um Kunstfreiheit und andere Grundrechte. Aber vor allem wollen wir wissen, wie es gelingen, kann, weder reflexartig noch bequem auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen den großen Wörtern: ohne Kunst keine Freiheit und ohne Freiheit keine Demokratie!
Das Gespräch mit Holger Bergmann bildet den Auftakt zu einer Artikelserie, die das Programm zu DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN begleitet. Elisabeth Wellershaus betreut die Texte, in denen sie mit Autor*innen wie Esther Boldt, Nora Burgard-Arp, Zonya Denghi oder Mirriane Mahn auf offene und geschlossene Räume in einer fragilen Gesellschaft blickt.