Generationenwechsel im Figurentheater. Im Gespräch mit Seta Guetsoyan

Von Sebastian Köthe

Das Figurentheater-Kolleg Bochum hat in den Laboren „Innovationen“ und „Generationen“ Begegnungsräume für erfahrene und junge Spieler*innen geschaffen. Neben inhaltlichen Diskussionen über neue Technologien, das Spielen mit Objekten oder geschlechtergerechte Sprache ging es dabei auch um die Frage des Vermächtnisses: Wie übergibt man eine Sammlung von Figuren, ein persönliches Netzwerk oder gar ein Theater? Zum Interview von Sebastian Köthe.

LABOR – Die Innovationen und Die Generationen

Sebastian Köthe: Wie bist Du zum Figurentheater gekommen und was machst Du da?

Seta Guetsoyan: Ich habe lange frei gearbeitet und im Ruhrgebiet Produktionen von Theatergruppen und Festivals verantwortet. 2012 habe ich die Produktionsleitung der FIDENA, dem Figurentheaterfestival in Bochum übernommen. Seitdem bin ich beim Figurentheater „kleben geblieben“. Nachdem Birgit Hollack nach 36 Jahren als Leiterin am Figurentheater-Kolleg Bochum 2019 aufhörte, bin ich ihre Nachfolgerin geworden. Auch darum interessiert mich das Thema „Generationen“ so sehr – das ist eine wichtige kulturpolitische Frage für Künstler*innen wie auch für Institutionen.

Welche Themen bewegen das Figurentheater-Kolleg zurzeit?

Wir sind die einzige staatlich anerkannte Weiterbildungseinrichtung, an der man durch Weiterbildung Figurenspieler*in werden kann. Auch in unserer Teilnehmerschaft bahnt sich das Muss eines Generationenwechsels an und so wir haben uns in den letzten Jahren mithilfe von Projektmitteln für die Zukunft neu aufgestellt. Wir haben uns zum Beispiel im Feld Figurentheater und Digitalität neu positioniert. Welche neuen Formen und Tendenzen gibt es da? Wie können sich Künstler*innen in diesem Bereich Wissen aneignen? Ist das in so hochkomplexen Bereichen überhaupt möglich? Die Technologien sind ja nicht einfach zu verstehen. Teilweise lernen Leute 3D-Druck, Animatronik oder Programme wie Blender jahrelang. Nebenberuflich ist das eine große Herausforderung. Dafür neue Unterrichtsmethoden zu finden, steht auf unserer Agenda und damit verbunden die Frage: „Wie können neue Fördermöglichkeiten und -formen für die Weiterbildung von Figurenspieler*innen gefunden werden?“

Weiterbildung ist für Künstler*innen also eine besondere Herausforderung?

Die Zeit in den Laboren hat uns das strukturelle Problem noch einmal vor Augen geführt: Wie können sich professionelle Künstler*innen Weiterbildung überhaupt leisten? Sie müssen sich Urlaub nehmen, die Weiterbildung bezahlen, vielleicht noch eine Unterkunft finden. Und es gibt keine Förderprogramme dafür! Wir konnten die Labore dafür nutzen, um darüber nachzudenken, wie Künstler*innen lernen und sich vernetzen wollen.

Einerseits bringt man Kunst oft mit Innovation und dem Neuen in Verbindung. Andererseits sagst Du jetzt, dass die Arbeitsstrukturen es Künstler*innen oft erschweren, sich fortzubilden und sich Neues anzueignen. Ist das nicht ein Paradox?

Wenn man ein künstlerisches Projekt macht und merkt, dass einem Wissen oder bestimmte Kompetenzen fehlen, dann versucht man sich selbst das Wissen anzueignen. Wenn sich aber jemand zum Beispiel mit neuen Technologien auseinandersetzt, wird es schwierig, weil das hoch komplex ist. Ohne Vernetzung, Gespräche oder Inputs kommt der oder die Einzelne nicht weiter. Wir können es uns aber nicht leisten, den Fokus auf die unmittelbare Aufgabe zu unterbrechen. So stellt sich die Frage, wie es Künstler*innen ermöglicht wird, neue Themengebiete von Grund auf neu zu lernen oder Menschen mit speziellen Kompetenzen zu treffen, die ihnen etwas Neues erfahrbar und verständlich machen können. Dabei ist es wünschenswert, wenn solche Begegnungen nicht nur im Rahmen eines kurzen Interviews oder Workshops stattfinden, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg.

Ein Dachboden mit Guckkastenbühne. Performer*in liegt auf der Bühne und spielt. Vor der Bühne sitzen 9 Menschen auf dem Boden. © Labor "Die Generationen"

Das erste Eurer Labs hieß „Innovationen“ und handelte von der Arbeit mit digitalen Technologien. Worum ging es da genau?

Im Lab „Innovationen“ hatten wir Wolfram Lakaszus und Jan Schulte dabei, die als Medienkünstler und Sounddesigner ihr technisches Knowhow mit uns geteilt haben. Ich habe den Bereich digitale Dramaturgie verantwortet. Bei der Frage, was wir mit neuen Technologien erzählen wollen, welche neue Formen möglich sind, befinden wir uns auf der Forschungsreise. Wenn sich keine neuen Erzählstrategien durch den Einsatz digitaler Techniken ergeben, stellt sich die Frage: Bleibe ich nicht lieber dabei die Geschichte dann besser mit Papier zu erzählen?

Im ersten Teil des Labors wollten die Teilnehmenden zuerst Input, bevor selbstständig und experimentell gearbeitet wurde. Viele hatten noch keine Erfahrung mit digitalen Technologien und stellten sich oft die Frage, möchte ich es in meine Arbeit intergieren, und was davon genau? Wir hatten eine Teilnehmerin, eine klassische Figurenspielerin, die sich bisher gegen fast alle neuen Ideen gesträubt hatte. Sie sagte aber: „Ich will neugierig bleiben und es mir angucken“. Das hat das Laborformat ermöglicht. Für andere stellte sich diese Frage nicht, da die Auseinandersetzung mit digitalen Techniken die Grundlage ihres künstlerischen Schaffens darstellt.

Wie habt ihr im Labor „Generationen“ miteinander gearbeitet?

Hier stand die künstlerische Zusammenarbeit im Fokus. Ich hatte die Bibelstelle „Abrahams Versuchung“ herausgesucht, in der Gott Abraham dazu auffordert seinen Sohn Isaak zu opfern. Darüber haben natürlich alle gemeckert. Ich habe den Text aber bewusst ausgewählt, weil er provokant ist, und viel mit unserem Thema „Generationen“ zu tun hat und das waberte dann im Hintergrund mit. Die Teilnehmenden haben in Gruppen an dem Text gearbeitet. Das Ergebnis waren zwei tolle, sehr unterschiedliche Tryouts. Eine Gruppe hat von uns ein Materialpaket mit Papier bekommen, die andere mit Schaumstoffen. Bereits die Annäherung an das Material offenbarte einen Generationenclash: Einem Teilnehmer war es eher fremd so frei mit Material umzugehen; andere, die zum Beispiel an der HMDK Stuttgart studiert haben, kennen diese Herangehensweise als genuine Methode.

Nach den Tryouts gab es Präsentationen und Diskussionen. Wir haben bis zum letzten Wein miteinander gesprochen und diskutiert und am Frühstückstisch gleich weitergemacht. Für einen solchen Austausch sind die Labore unersetzlich. Obwohl wir tolle Ergebnisse hatten, war es wichtig, ergebnisoffen und ohne Produktionsdruck arbeiten zu können. Die Ergebnisse haben sich aus einer besonderen Freiheit ergeben, weil auch ein Scheitern möglich gewesen wäre. Das Paradoxon ist, dass das Scheitern in solch einer Form der Zusammenarbeit aber nie eintrifft.

Konferenzraum. Zwei Tische im Bild, daran drei Personen und eine Puppe. Im Hintergrund ein Bildschirm, mit einem Film auf dem die Puppe zu sehen ist. © Labor "Die Innovationen"

Inwiefern ist das Thema „Generationen“ spezifisch für das Figurentheater?

Es ist auf mehreren Ebenen ein großes Thema. Da ist zum Beispiel die Frage, wie Figurentheater, die von Institutionen geführt werden, aber auch von Einzelnen, Paaren oder Kollektiven, an eine nächste Generation übergeben werden können. Oft sind starke persönliche Verbindungen mit den Theatern verknüpft. Das kann künstlerische und finanzielle Mittel betreffen, aber auch das Gebäude, das vielleicht einmal gekauft wurde. Auch das Figurentheater-Kolleg in Bochum ist ja 36 Jahre lang von meiner Vorgängerin geführt worden. Da wurde viel Herzblut hineingesteckt, um solche Institutionen am Leben zu erhalten. Die dann zu übergeben und loszulassen – das ist eine große Herausforderung.

Ist so ein Austausch auch hinsichtlich der Distribution von Auftritten relevant?

Ja. Manche Künstler*innen haben die Orte, an denen sie spielen, seit Jahrzehnten in Karteikarten gesammelt. Dabei handelt es sich um kleinere Vereine, Kultureinrichtungen, Kindergärten, die gerne Figurenspieler*innen zu sich einladen. So ein Wissen bedeutet ganz andere Verdienstmöglichkeiten. Auch das möchten ältere Künstler*innen an junge Leute gerne abgeben. Wie können wir helfen, dass solche Übergaben stattfinden?

Wir haben über den Generationenwechsel in Bezug auf Häuser und Distributionswege gesprochen. Was kann es für individuelle Künstler*innen bedeuten, ihre professionelle Karriere zu beenden?

Wenn Figurenspieler*innen aufhören, bieten sie oft ihre Figuren und sogar ihre Stücke zum Verkauf an. Das kennt man aus keinem anderen Bereich. Im Labor hatten wir jemanden dabei, der gerade 200 Puppen und seine Stücke übergeben möchte. Das ist besonders und es gibt noch kein etabliertes Verfahren dafür. Über E-Mail-Verteiler oder die Verbände hört man dann: „Der XY bietet gerade Rotkäppchen an.“

Was aber wäre ein nachhaltiger Umgang mit solchen Ressourcen und wie können wir diese schon vorhandenen Strukturen im Figurentheater weiter ausbauen und ihnen Beachtung schenken? Wenn jemand in seinem Leben 200 Puppen gebaut hat und die befinden jetzt in einem Lager – wenn sie nicht übergeben werden, kommen sie vielleicht alle auf den Müll. Es gibt einen künstlerischen Mehrwert, der sich über Jahrzehnte tragen lässt, wenn Leute mit den Figuren weiterspielen. Das ist figurentheaterspezifisch und braucht Strukturen, die gefördert werden.

Das heißt, die Frage der Generationen ist auch eine der Nachhaltigkeit?

Ja, auf jeden Fall. Dazu gehört aber auch die Frage, wie etwas beendet wird. Wir scheuen uns oft davor, Dinge zu beenden. Aber dieser Frage müssen wir uns stellen: wie wir loslassen können – oder verändern.

Im Sommer haben freie Künstler*innen-Gruppen in 30 bundesweiten Artist Labs die krisenhafte Gegenwart untersucht. Sebastian Köthe, Elisabeth Wellershaus und ein Team an Gastautor*innen haben ihnen dabei über die Schulter geschaut.