„Macht mal!“
Von Georg Kasch
Am Abend von Tag 1 des Bundesforums diskutiert ein prominent besetztes Panel die Frage, wie die Kultur-Förderpolitik reformiert werden müsste
Wo bleibt eigentlich das Publikum? In den Debatten am ersten Tag des Bundesforums zu Fördermechanismen und den aktuellen Veränderungen der Kunst- und Kulturlandschaft durch Corona kam es allenfalls am Rande vor. Und war zugleich ein Elefant im Raum. Einmal fragte Philippe Bischof, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, in der großen Schlussdiskussion, den „Positionen aus der Politik zur Veränderung der Kunst- und Kulturlandschaft“: „Wie lange geht das, ohne Publikum zu produzieren?“ Er meinte damit die Arbeitsstipendien, die vielen Künstler*innen halfen, über die Lockdowns zu kommen und zugleich ihre Projekte zu recherchieren und weiterzuentwickeln, ohne dass in dieser Zeit zwangsläufig ein Output entstehen musste. Und doch schwang auch die mehrfach an diesem Tag angedeutete Sorge mit, ob das Publikum in derselben Menge zurück kommt wie vor der Corona-Pandemie.
Mit dem Publikum und der Freien Szene ist es mitunter ohnehin so eine Sache. Produktionen zeitgenössischen Tanztheaters würden in der Schweiz im Schnitt 1,7 Mal gespielt, so Bischof. Sein Vorschlag: Schickt die Inszenierungen aufs Land! Nur was würde dann passieren? Sind die ja im Kern meist hochurbanen Produktionen der Freien Szene auf dem Land überhaupt vermittelbar? Veronica Kaup-Hasler, amtsführende Stadträtin für Kultur und Wissenschaft in Wien, findet die Idee gut, fordert aber partizipative Prozesse. Die Kulturlandverschickung brauche „Zeit und Wertschätzung“. In jedem Fall wäre diese Art der Land-Tourneen ein interessantes Experiment – und eine Form von Nachhaltigkeit, wie sie in den Diskussionen dieses Tages immer wieder eingefordert wird.
Das Publikum spielt auch im Vorschlag des Theatermanagement-Professors Thomas Schmidt eine Rolle, sämtliche Förderkonzepte in einem Wurf zu reformieren – und spannender Weise auch das Nicht-Publikum. Das soll nämlich in einem „Stakeholder-Monitor“ ebenso zu Wort kommen wie das tatsächliche Publikum, um mehr über die Bedürfnisse und Wünsche möglicher Zuschauer*innen zu erfahren. Keine schlechte Idee, ebenso wie Runde Tische, ein Think Tank (damit auf jeden Fall Künstler*innen an den Prozessen beteiligt werden) und ein „Institut für lebenslanges Lernen“.
Problematisch wirkte, dass Schmidt sich beim Versuch, den Förderdschungel zu vereinfachen, so unkritisch auf einen zentralistischen Ansatz und auf Methoden der freien Wirtschaft stützt. Zum Beispiel mit einer Entwicklungsbank nach Vorbild der KfW. Aber auch mit einer Qualitäts-Agentur, in der Politiker*innen und Künstler*innen eine Art Gütesiegel festlegen. Im Detail gibt es so etwas ja schon, nämlich in all den Vergabe-Jurys etwa auf Länderebene. Nur zeigt sich bereits dort, wie heikel so eine Qualitätsdebatte ist und wie schwer es bleibt, künstlerische Exzellenz festzustellen – in Bezug auf die Entwicklung der Gruppe? Die Landes-Szene? Bundes-, ja weltweit? Inwiefern lässt sich der Blick auf künstlerische Qualität objektivieren, wie stark ändert er sich je nach Zusammensetzung der Agentur-Entscheider*innen? Gerade wenn die Bewertung von künstlerischer Qualität hier zentralisiert wird, sieht das nach einer Machtkonzentration aus, die insbesondere unangepassten, polarisierenden Formaten und Gruppen unter Umständen nicht gerecht werden kann.
Dass sich aber in der Kulturförderung etwas ändern muss, da sind sich alle einig. Kulturförderung sei zu kompliziert, findet Sabine Bangert, für Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus: „Nicht die Künstler*innen, sondern die Struktur war durch Corona in der Krise.“ Veronica Kaup-Hasler träumt von Kultur-Millionen aus vereitelter Steuerhinterziehung und sieht den Beweis für die Systemrelevanz von Kunst längst als erbracht: „Wer hat uns geholfen, die Klaustrophobie zu überleben? Musik, Bücher, Filme.“ Torsten Wöhlert, Kulturstaatssekretär des Landes Berlin, kontert: Mit Aufwüchsen im Kulturbereich ist erstmal nicht zu rechnen und die Umverteilungsdebatte sei Bundessache. Sein Fazit des in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen Berliner Kulturhaushalts: „Auch wenn es mehr Geld gibt, bleiben die Probleme dieselben, nur auf höherem Niveau.“ Immerhin fordert er wie Schmidt, dass Teilhabe Teil des Förderwesens sein müsse. Und kann sich weniger eine Zentralisierung der Förderung als eine der sozialen Absicherung vorstellen.
Auch Günter Winands, Ministerialdirektor und Amtschef bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, warnt: Wenn die Kosten im Kulturbereich übertrieben steigen, „dann sagt der Bürger nicht mehr: Das ist meine Oper!“ Er plädiert dafür, „ein bisschen runterzukommen vom Hightech“. Und mahnt immer wieder die politischen Realitäten an: Für alles, was die Bundesregierung beschließe, brauche sie Mehrheiten – für etwa die Hälfte ihrer Beschlüsse etwa den Bundesrat.
Stark machten sich die Politiker*innen für Räume. Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner regte an, für Neubauten eine kulturelle Nutzung vorzuschreiben. Und diesen Raum zum Beispiel an Kollektive zu geben, ihnen zu vertrauen und zu sagen: „Macht mal!“ Torsten Wöhlert berichtet von entsprechenden Auflagen für die Neugestaltung des Berliner Molkenmarkt-Areals. Veronica Kaup-Hasler fordert neue, hybride Räume und erzählt, wie sie während der Pandemie leere Kirchen an Chöre ohne große Probenräume vermittelt habe. Nur wirkt der Fokus auf Orte ein wenig heikel angesichts der Warnung von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) im Nachmittagspanel, vor allem die Spielstätten zu stärken: Früher sei es immer darum gegangen, für ein Projekt den richtigen, oft unerschlossenen Ort zu finden. Heute werde das unter anderem dadurch erschwert, dass Anträge oft schon eine Spielort-Bestätigung enthalten müssten. Offen bleibt, ob dieser Orts-Patronismus in Zeiten von Gentrifizierung die einzige Möglichkeit ist, Räume zu sichern – oder ob so wirklich wilder, Räume belebender Kunst das Wasser abgegraben wird.
Was bleibt? Eine große Einigkeit darüber, dass die Kulturförderung reformiert werden muss, dass nicht nur das Produkt – also ein Projekt, eine Inszenierung – im Mittelpunkt stehen dürfe, sondern auch Arbeitsprozesse berücksichtigt werden müssten. Und dass die soziale Absicherung in den Fokus gehört. Vieles hingegen wird nur angerissen: Was passiert, wenn das finanzielle Pulver verschossen ist, aber mit dem Geld Hoffnungen geweckt und Tatsachen geschaffen wurden?, fragt Julia Lehner einmal. Keine Antwort. Und was sich von den vielen Ideen am Ende in den politischen Prozessen wirklich umsetzen lässt, ist, wie Günter Winands betonte, am Ende: Verhandlungssache.
Tagesaktuell berichten die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp von dem Geschehen vor Ort, zeichnen die Diskussionen nach und geben Einblicke in die Vorträge und vertretenen Standpunkte.