Sieben Säulen sollen’s sein

Von Elena Philipp

Die neue Förderarchitektur des Fonds Darstellende Künste. Elena Philipp im Gespräch mit dem Programmleiter Steffen Klewar.

Steffen Klewar, wenn Sie auf die Pandemiezeit zurückblicken: Was waren die Erfahrungen des Fonds Darstellende Künste als Förderer, der in etlichen Programmen wie #TakeCare oder #TakeHeart NEUSTART KULTUR-Mittel vergeben hat?

Während der Pandemie verzeichneten wir eine paradoxe Entwicklung: Einerseits gab es starke Einschränkungen für die gesamten Darstellenden Künste – es konnte nicht immer gemeinschaftlich produziert werden, man konnte sich oft nicht versammeln. Das war herausfordernd für Kunstformen, für die die physische Kopräsenz zumeist elementar ist. Andererseits gab es einen unglaublichen Kreativitätsboost durch die Fördermöglichkeiten dieser Jahre. Mit den Mitteln aus den NEUSTART KULTUR-Programmen ist es dabei gelungen, die bundesweite Landschaft der Freien Darstellenden Künste zu stabilisieren und letztendlich zu erhalten. In den Szenen gab es wenig Insolvenzen, wenig Schließungen von kleinen Theatern, die alle möglich, ja wahrscheinlich schienen. Künstler*innengruppen konnten weiterarbeiten, trotz der notwendigen temporären Einschränkungen durch Pandemiemaßnahmen, sie sind ausgewichen in öffentliche oder digitale Räume. Und es fand viel fachlicher Austausch statt. Das bedeutete nicht zuletzt auch einen Professionalisierungsschub für die bundesweiten freien Künste.

Was sind für Sie beim Fonds Darstellende Künste die wichtigen Learnings aus der Pandemie?

Eine zeitgemäße Förderung nimmt den gesamten künstlerischen Prozess in den Blick und begegnet ihm mit einer ausdifferenzierten Förderarchitektur. Was schon vor der Pandemie Erkenntnis von Dialog und Austausch nicht nur innerhalb der Szene war – dass weite Teile des künstlerischen Schaffens nicht oder mindestens nicht ausreichend berücksichtigt waren in den Förderinstrumenten und es einer Reform bedarf – hat diese Zeit jetzt klar unter Beweis gestellt. Erstmals standen Mittel zur Verfügung, um ein „ganzheitliches“ Förderkonzept umzusetzen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bewährt hat sich zum Beispiel die Rechercheförderung, die lang schon ein Thema für die Künstler*innen war. Das Instrument ist so erfolgreich, dass wir es in Zukunft verstetigen werden. Aber es gilt auch zukünftig, die unterschiedlichen Prozessphasen von Kunstproduktion in den Blick zu nehmen: von der frühen Recherche über die kollaborative Anbahnung der ja fast immer im kollektiven Austausch entstehenden Kunst bis hin zum tatsächlichen Produktionsprozess, in dem Künstler*innen zusammenkommen, um zu proben und ihre Arbeiten zu veröffentlichen. Um die künstlerische Produktion nachhaltig zu gestalten und Zugänge zu Kunst zu schaffen, muss es die Möglichkeit geben, herausragende Ergebnisse mehrmals zu zeigen und sich neuen Publika zuzuwenden. Und schließlich braucht es für Künstler*innen die Gelegenheit, sich miteinander fachlich auszutauschen, zum Beispiel bei Netzwerktreffen.

„Auch zukünftig gilt es, alle Prozessphasen von Kunstproduktion in den Blick zu nehmen.“

Inwieweit hat die Pandemie auch zu Veränderungen in der Förderstruktur des Fonds Darstellende Künste geführt?

Die Pandemie hat den großen Bedarf aufgezeigt und auch, was der Fonds diesbezüglich leisten kann und möchte. Der Fonds Darstellende Künste hat für die neuen Förderprogramme im Jahr 2024 wesentlich mehr Mittel durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien zur Verfügung als in den vorpandemischen Jahren. So können wir Künstler*innen dabei unterstützen, insgesamt höhere Fördersummen für Projekte zu akquirieren, wir können zur Verbesserung der Produktionsbedingungen beitragen oder auch größere Produktionen ermöglichen. Insbesondere müssen und können jetzt Honoraruntergrenzen verbindlich eingehalten werden, eine Maßnahme zur sozialen Absicherung der Beteiligten, die überfällig war.

Wie hat sich die Förderung des Fonds im Zusammenspiel mit Ländern und Kommunen postpandemisch geändert?

Vielleicht zunächst zu dem, was bleibt: Die Bundesförderung der Freien Darstellenden Künste erfolgt nach dem Subsidiaritätsprinzip und unter Berücksichtigung der Kulturhoheit der Länder. Künstler*innen, die in ihren jeweiligen Bundesländern bereits Förderung erhalten, können Aufwüchse für ihre Produktionen generieren, wenn das Kuratorium des Fonds ihr beantragtes Vorhaben unter Berücksichtigung ihrer bisherigen künstlerischen Arbeit mehrheitlich als bundesweit bemerkenswert einschätzt, die bundesländerübergreifende Kooperation und Strahlkraft würdigt oder einen bundesweiten Modellcharakter des Vorhabens erkennt, der beispielsweise zu neuen Ästhetiken oder Arbeitsweisen führt oder Inhalte gesamtgesellschaftlicher Relevanz mit den Mitteln der Kunst innovativ untersucht, befragt, abbildet oder verdeutlicht.

„Wir ermöglichen jetzt bessere Produktionsbedingungen für die Beteiligten.“

Und was ist neu oder anders im Verhältnis zu den Förderern auf Landes- und Kommunalebene?

Ganz konkret verändert hat sich das Verhältnis der Summen und die Förderhöhen: Bis 2020 konnten wir in der Projektförderung eine maximale Fördersumme von 20.000 Euro vergeben. Dafür mussten die Geförderten mindestens 100 Prozent dieser Summe, also mindestens ebenfalls 20.000 Euro, aus Ländern und Kommunen mitbringen. Jetzt, im neuen Programm der Produktionsförderung, liegt die mögliche Antragssumme bei 50.000 Euro und es sind dafür nur noch 50 Prozent Kofinanzierung vonnöten, das wären in diesem Rechenbeispiel 25.000 Euro – eine deutliche Verbesserung für die Künstler*innen. Dank der Mittelerhöhung für den Fonds Darstellende Künste, die in einer Zeit gelungen ist, von der wir wissen, dass die Bundesregierung für den Haushalt vor großen Herausforderungen steht, können wir das mit mehreren Ausschreibungen pro Jahr realisieren. Zusammengefasst: Wir fördern jetzt insgesamt mehr Produktionen mit jeweils höheren Beträgen und ermöglichen bessere Produktionsbedingungen für die Beteiligten. Und das bietet auch einen Anreiz für Länder und Kommunen, entsprechende Förderprogramme aufzulegen beziehungsweise finanziell zu hinterlegen, wenn dies im grundsätzlichen Interesse der politischen Akteur*innen vor Ort liegt.

Wie ist das künftige Gesamtvolumen des Fonds Darstellende Künste von 10 Millionen Euro den einzelnen Förderprogrammen zugeordnet?

Unsere Stärke als strukturell nach wie vor eher kleinere Förderinstitution ist nicht der fixe Plan, sondern Agilität in der Steuerung – immer im Rahmen der durch Politik und Verwaltung gesetzten Bedingungen. Daher betrachten wir die Förderprogramm-Architektur als das inhaltliche Gerüst und sind mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in kontinuierlicher Abstimmung zu zielgerichteter Bedarfsorientierung auch in laufenden Förderjahren. Viel entscheidender als die Frage nach den Gesamtvolumina einzelner Programme ist es daher beispielsweise, Förderquoten in den Blick zu nehmen. Wie viele Anträge entfallen auf ein Programm und wie viele davon können wir fördern? Wir gehen davon aus, dass Förderquoten von 20 bis 25 Prozent möglich sein werden, vielleicht an manchen Stellen sogar etwas höhere. Unser Anliegen ist es immer auch, verlässlicher Partner der Szene mit realistischen Förderangeboten und -chancen zu sein und dabei die Verhältnismäßigkeiten in den Blick zu nehmen. Und das gerade auch unter sich möglicherweise weiter stetig verändernden Rahmenbedingungen. Auch dafür waren die letzten Jahre Lehrjahre.

Wie gestaltet sich die postpandemische Förderarchitektur des Fonds Darstellende Künste im Detail?

Wir nehmen in unserer Förderung sieben Säulen in den Blick: Produktion, Innovation, Kooperation, Nachhaltigkeit, Planungssicherheit, Vernetzung, Transformation. Das sind die sieben Überschriften, Ziele, Zwecke der Förderprogramme.

Könnten Sie die sieben Säulen im Detail beschreiben?

Die Produktionsförderung ist der Kern dieser Förderarchitektur. Hier geht es um künstlerische Neuproduktionen. Das beinhaltet den gesamten Entstehungsprozess, von der Konzeption und Recherche bis zur Aufführung, und zwar in allen Genres der Darstellenden Künste. Der Fonds fördert gleichermaßen Tanz, Figurentheater, Schauspiel, Theater im öffentlichen Raum, Digitales Theater, Zirkus, Musiktheater, Performances, performative Installationen, interdisziplinäre, aber auch zielgruppenspezifische Vorhaben, so wie Theater für junges Publikum.

„Wir fördern zeitgemäß. Also auch nachhaltig.“

Daran schließt die zweite Säule an: Worin besteht die Nachhaltigkeit der künstlerischen Arbeit? Da geht es auch um Wiederaufnahmen. Wenn bei den Produktionen, die wir ermöglicht haben, bemerkenswerte Ergebnisse entstehen, dann wollen wir sie stützen, ihnen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und erneute Aufführungen ermöglichen, gerade auch bundesländerübergreifend – von Baden-Württemberg nach Mecklenburg-Vorpommern, von Sachsen-Anhalt nach Nordrhein-Westfalen und Berlin. Das ist dann auch ein ressourcenschonender Umgang mit Fördermitteln. Wir fördern zeitgemäß. Also auch nachhaltig.

Die nächste Säule wäre die Planungssicherheit. Was wird hier gefördert?

Die höchste Förderung, die wir vergeben, ist bereits seit 2010 die Konzeptionsförderung. Sie geht an bundesweit und international langjährig erfolgreich arbeitende Gruppen und Ensembles, die mehrjährige Unterstützung benötigen, um auf dem künstlerischen Niveau, das sie sich bereits erarbeitet haben, noch weiterzukommen. Die Gruppen erhalten für drei Jahre eine zu den anderen Förderprogrammen vergleichsweise hohe Summe. Sie war früher auf 25.000 Euro pro Jahr beschränkt, jetzt sind es 50.000 bis 80.000 Euro, die zusätzlich zu ihren mehrjährigen Förderungen aus öffentlichen Mitteln der Kommunen oder Bundesländer hinzukommen. So entstehen in der Regel drei neue Produktionen mit bundesweiter und immer öfter auch internationaler Strahlkraft.

Und wie ist der Förderschwerpunkt Vernetzung ausgerichtet?

Das ist die Netzwerkförderung, die wir weiterführen. Sie richtet sich an die Strukturen – Häuser, Festivals und Fachverbände – und ermöglicht den bundesländerübergreifenden Wissenstransfer, den Austausch auf Symposien oder bei Fachtagen und die Qualifizierung.

Das klingt umfassend. Ausreichend Mittel für die Unterstützung all dieser Vorhaben stehen jetzt eigentlich nicht mehr zur Verfügung, oder?

Ziel des Fonds war es, mit 16,5 Millionen Euro Gesamtvolumen ins Jahr 2024 zu gehen. Wir sind froh, dass es angesichts der Haushaltsentwicklung nach den Mehrfachkrisen nicht zu einem noch größeren Absenken der gewünschten Summe kam. Es ist klar, dass wir nun nicht alles, was wir realisieren wollten, mit den jetzt zugesagten 10 Millionen Euro im gewünschten Umfang realisieren werden können. Da ist noch Luft nach oben. Trotzdem glauben wir, dass es zum Beispiel für Innovation Denk- und Freiräume gerade für Künstler*innen braucht, die bereits langjährig bemerkenswerte Produktionen initiieren und verantworten.

Innovation ist die fünfte der sieben Säulen.

Ja, und deswegen werden wir auch eine Rechercheförderung aufstellen, die sich an die genannte Zielgruppe richtet. Ermöglichen soll sie unter anderem Grundlagenforschung und Recherche für neue Produktionen. Und dann wird als Pilot noch eine Residenzförderung in Kooperation mit dem bundesweit aufgestellten Netzwerk flausen+ realisiert. Ziel ist hier die vertiefte Kollaboration von Künstler*innen mit freien Produktionsorten. In der Säule Innovation fördern wir also Recherchen für künstlerisch Verantwortliche. Im Feld Kooperation ermöglichen wir Residenzen.

Nun gibt es noch die Säule der Transformation. Was ist hier geplant?

Transformation ist natürlich nicht nur ein sehr großes, sondern vor allem ein Querschnitts-Thema, das sich über alle unsere Programme zieht und auch die durch uns realisierten Diskursplattformen prägt. Wir glauben zudem, dass wir auch zukünftig zu bestimmten Anlässen Sonderprogramme realisieren können. So wie es in der Vergangenheit unsere „GLOBAL VILLAGE“-Programme zur künstlerischen Arbeit in ländlichen Räumen waren, die über drei Jahre erfolgreich liefen. Oder das Programm „AUTONOM“, das sich im Rahmen der KI-Initiative der Bundesregierung der Schnittstelle von Künstlicher Intelligenz und Freien Künsten widmete, sowie das Förderprogramm „KONFIGURATION“ zu Potentialen des Digitalen im Figuren- und Objekttheater, einer Sparte, in der das digitale Arbeiten lange nur sehr punktuell stattfand. Besonders hervorheben möchte ich auch „GLOBAL VILLAGE KIDS“. Im Rahmen der Initiative „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fördern wir nun seit einem Jahr an der Schnittstelle von Kultureller Bildung und Freien Darstellenden Künsten. Kinder und Jugendliche in Risikolagen arbeiten mit Künstler*innen zusammen, entweder in ländlichen Räumen oder im Digitalen, und werden dort mit den Mitteln der Kunst nicht zuletzt in der Erfahrung von Selbstwirksamkeit gestärkt.

Von dieser Bildungsarbeit ausgehend: Wie würden Sie die Rolle der freien Darstellenden Künste für die und in der Gesellschaft beschreiben?

Ganz grundsätzlich gilt es zu sagen: Die Freien Darstellenden Künste sind nicht nur oftmals Seismograf für gesellschaftliche Transformation, sondern beweisen auch immer wieder das Potential, ganz konkret Akteur*innen für diese zu sein und die relevanten Mitwirkenden zu versammeln. Der Fonds Darstellende Künste unterstützt und ermöglicht das mit seinen Förderprogrammen maßgeblich. Und wir arbeiten weiter daran, die jetzt etablierten Förderlinien auch mittel- und langfristig zu erhalten und schrittweise auszubauen.

2024 hat gerade erst begonnen. Steffen Klewar, wie blickt der Fonds Darstellende Künste auf dieses Jahr?

Aktuell führen wir als Gesellschaft hitzige Debatten. Mit Blick auf die 2024 anstehenden Kommunal-, Landtags- und Europa-Wahlen kann man sagen, dass die Herausforderungen, was Zusammenhalt, Toleranz und Akzeptanz in unserer pluralistischen, diversen Gesellschaft und die Wertschätzung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung angeht, nicht kleiner werden. Es braucht eine starke Szene der Freien Darstellenden Künste und eine, die sich dieser Verantwortung mit den Mitteln der Kunst weiterhin annimmt – gerade jetzt, gerade in dieser Zeit. Dafür braucht es weiterhin ein Verständnis in der (Kultur-)Politik, was die künstlerische Auseinandersetzung für unser gelingendes Zusammenleben in unserer Gesellschaft leistet. Und es braucht Diskurs- und Dialogplattformen zwischen den diversen Perspektiven und Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Kunst und Politik. Verständigung ist nötig. Der Fonds Darstellende Künste wird daher im Sommer 2024 bundesweite Foren zum Verhältnis von Freiheit, Demokratie und Kunst in unserer zu stark von Vereinzelung, Verschwörungsideologien und Verdrängungsängsten geprägten postpandemischen Gesellschaft initiieren.

Das Gespräch führte Elena Philipp.