Theater, Demos und andere Old School Aktionsformen

Von Tom Mustroph

Simone Dede Ayivi ist sowohl Künstlerin als auch politische Aktivistin.Der Kulturjournalist Tom Mustroph im Gespräch mit Simone Dede Ayivi, Preisträgerin der Tabori Auszeichnung 2022.

Simone Dede Ayivi sitzt während einer Performance auf dem Teil einer Einbauküche, die treppenartig angeordnet ist. © Renata Chueire

Simone Dede Ayivi in der Performance "Homecooking"

Simone Dede Ayivi ist sowohl Künstlerin als auch politische Aktivistin. In ihren Performances erörtert sie Fragen von Repräsentation, Widerstand und Community. Ihre Arbeiten sind biografisch motivierte, meist interviewbasierte Rechercheprojekte, die politische Kämpfe und Bewegungen, Schwarze Geschichte und Gegenwart sowie afrofuturistische Erzählungen in den Mittelpunkt stellen. Simone Dede Ayivi ist auch als Autorin tätig und engagiert sich unter anderem bei ISD Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland.

Simone Dede Ayivi, an den Sophiensӕlen lief gerade Ihre Produktion Home Cooking. Ich war überrascht, dass Sie Kochen als verbindende Kulturtechnik zeigen. Denn in früheren Zeiten waren Essen und Esskultur im Grunde genommen das Einzige aus anderen Ländern, das viele Leute aus Deutschland an sich herangelassen haben. Und beim Genießen der neuen Gerichte konnte man auch noch prächtig die eigenen nationalen Überheblichkeiten beibehalten. Was brachte Sie dazu, es jetzt mit dem Kochen auf der Bühne zu versuchen?

In The Kids are alright, dem vorigen Stück von mir und meinen Kompliz*innen, gab es viele Momente über das Aufwachsen mit rechtem Terror. Das entstand einfach aus den Gesprächen heraus: Ein Thema das uns geprägt hat. Doch später durchsuchte ich das Material noch einmal nach verbindenden positiven Erfahrungen. Und da kam erstaunlich oft Essen und Kochen zur Sprache. Ich lud schon vor ein paar Jahren zwei Kolleg*innen ein, um mit mir bei einer Theater-Talkshow am Pavillon Hannover zu kochen: Es ging um Diaspora-Fusion-Küche – zum Beispiel, wie man Fufu aus Kartoffeln macht. Das ist auch ein Aufhänger für das jetzige Stück:

Wir wollen durch das Kochen Familiengeschichten und Geschichten vom Aufwachsen erzählen, die liebevoll und positiv Bezug auf das eigene Migrationserbe nehmen. Klar geht auch das nicht, ohne über Rassismus zu sprechen, denn viele rassistische Beschimpfungen haben mit Essen zu tun. Doch es war eine andere Art, in diese Themen einzutauchen. Immer mit der Frage als Ausgangspunkt: Was kocht Ihr bei Euch in der Familie? Oder welches Rezept möchtest du mir mitgeben?

Dieses Teilen ist ja dann genau der andere Ansatz, als der, auf den wir in den Diskussionen um Identität und Aneignung häufig treffen. Beim Fusion-Cooking geht es ja nicht mehr um das Bewahren einer Identität oder von einer wie auch immer gearteten kulturellen Reinheit, die nur die Reinen ermächtigt zu sprechen und andere nicht.

Genau. Ich finde auch, das hat einen großen Wert: Es gab zum Beispiel diese schönen, wichtigen Momente, als wir bemerkten, dass wir alle die Gerichte der anderen falsch aussprechen. Wir können es halt nicht. Und nur weil wie alle People of Color sind, können wir nicht automatisch vietnamesische, togoische, türkische oder arabische Namen von Gerichten aussprechen. Klar: Es gibt diese Idee von Safer Space, an dem alle die zusammenkommen, die Rassismuserfahrungen teilen. Doch wenn das ganz unterschiedliche Erfahrungen sind und ganz unterschiedliche Bezüge, dann entsteht eine Lockerheit. Man bringt sich gegenseitig etwas bei und alle reden auch über die Veränderung, die damit einhergegangen ist.

Fast parallel zu Home Cooking haben Sie im Theater Oberhausen Wetterleuchten produziert. Darin ging es um die Perspektiven, die vor allem Theatermitarbeiter*innen hinter der Bühne aufs Theater haben – also jene, die sonst fast nie zu sehen sind. Ging es dabei auch um eine Art Erweiterung von Intersektionalität – jetzt nicht auf Diskriminierungserfahrungen wegen Herkunft und Hautfarbe, sondern auf die Hierarchiestrukturen im Theaterbetrieb?

Ich machte ein Stück, für das ich all die interviewt habe, die mit mir reden wollten. Ich wollte auf jeden Fall die technischen Abteilungen dabeihaben, weil mich deren Handwerk und Routine fasziniert und weil klar war: Es werden keine Menschen auf der Bühne sein. Die Maschine ist die Show.

Ist Ihnen so ein großer Theaterapparat jetzt ein bisschen sympathischer geworden, nachdem Sie so viel direkten Kontakt mit einzelnen Protagonist*innen hatten?

Ich bin Punkerin. Die ehemaligen Fabrikhallen, in denen ein paar Leute an irgendwelchen Dingen schrauben und wo es große Nähe gibt, mag ich eigentlich lieber. Doch trotz der langen Dienstwege im Stadttheater habe ich großen Respekt davor, welche unterschiedlichen Expertisen dort zusammenkommen. Ich machte aber schon vor Jahren die Erfahrung, als Schwarze Frau in der Freien Szene besser meine Arbeit machen zu können. Die Arbeit ist hierarchiefreier und inklusiver. Die Häuser und Teams sind diverser. Im Stadttheater wiederum erreicht man ein ganz anderes Publikum. Nicht nur eine bestimmte Szene. Das merke ich allein daran, wenn ich morgens zur Probe gehe und es kommen gleichzeitig Busse voller Schulklassen für die Vormittagsvorstellungen an. Klar, auch ein Stadttheater erreicht bei weitem nicht alle, das will ich überhaupt nicht schönreden. Doch wenn man sich fragt: Wo bildet sich Stadtgesellschaft im Publikum mehr ab? Dann doch eher im Stadttheater als in der Freien Szene. Ich finde es auch wichtig zu lernen, wie man die eigenen Diskurse und die eigene Ästhetik für alle zugänglich machen kann. Die schönste Erfahrung war in Oberhausen wirklich, dass so viele der Beteiligten den Abend genossen haben. Angesichts dessen, was viele Leute zuvor in den Interviews gesagt haben, war ich erleichtert.

Was haben sie denn vorher gesagt?

Ich fragte in den Interviews, was sie am liebsten am Theater mögen und was ihre magischen Momente im Theater sind. Die Mehrheit beschrieb Momente zwischen Schauspieler*innen und wünschte sich wieder mehr Klassiker. Einige sagten direkt, dass ihnen zu viel Performance gemacht wird. Auch am Stadttheater. Da hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich wollte das Stück inszenieren, das sich die Abteilungen wünschen, hatte ja aber noch nicht einmal eine Schauspielerin disponiert für meinen Abend! Und dass dann alle kamen und Spaß an dem Stück hatten und dass es gelungen ist, etwas zu machen, das viele Menschen und Ästhetiken zusammenführt, hat mich sehr gefreut.

Jetzt bin ich natürlich versucht, die Fragen, die Sie stellten, zurückzuspiegeln: Was würden Sie gern im Theater sehen? Was waren Ihre magischen Momente?

Ich sehe gern, wie die Dinge entstehen im Theater. Mir wird auch nicht langweilig: Wenn auf der Bühne nichts Interessantes passiert, schaue ich eben unter die Decke und gucke, was die Scheinwerfer so machen. Es ist immer was los! Ich mag besonders Theatermomente, wo ich merke: Ach, ich weiß genau, wie ihr es macht – und es funktioniert trotzdem und ihr kriegt mich.

In drei Reihen stehen acht Performer*innen auf einer dunklen Bühne. Jede*r von ihnen hat vor sich einen Umzugskarton stehen und über den Kopf eine Diskokugel gestülpt, die vom Lichtschein reflektiert. © Kornelia Kugler

Simone Dede Ayivi in der Preformance "Solidaritätsstück"

Wie sind Sie ursprünglich zum Theater gekommen? Was hat Sie da gefesselt?

Der Livemoment. In meiner Familie ging man nicht so viel ins Theater. Ich kam mit der Schule ins Theater. Darum bin ich nach wie vor für Schulaufführungen – selbst wenn es heißt «Die sind ja nicht freiwillig hier«. Ich komme aus Hessen, wir sind immer ins Frankfurter Schauspielhaus gegangen und ich fand beeindruckend, dass all diese Menschen in diesem Raum sitzen und alle verlassen sich auf diese verschiedenen Theaterverabredungen.

Ich habe gelesen, dass Sie sich das Gymnasium, auf das Sie schließlich gingen, auch aussuchten, weil es dort eine Theater AG gab? Dann las ich, dass Sie an anderen, außerschulischen Theaterangeboten nicht teilnahmen, weil die Macher*innen zu weiß waren – oder vielleicht auch die Leute, die dabei waren. War das so?

Habe ich da weiß gesagt? Das weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, dass ich da nicht hingehöre. Ich habe mich nicht angenommen gefühlt, wurde sehr schnell nervös und schüchtern. In der Schule waren auch alle weiß. Doch das war nicht das Problem. Denn es war Schule und da gehörte ich hin. Doch bei außerschulischen Aktivitäten war das teilweise anders. Beim Sport war dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, überhaupt kein Thema. Und ich weiß auch nicht, ob es im Theater mehr um Race oder um Class ging. Sie haben auf jeden Fall anders gesprochen als ich. Es waren Leute aus Akademiker*innenfamilien, das war zumindest der Habitus, der Duktus, und ich bin da aufgefallen. Ich war die einzige Schwarze Person in diesen Zusammenhängen, doch wahrscheinlich auch eines von wenigen Arbeiter*innenkindern.

Wie wichtig war für Sie das Ballhaus Naunynstraße als erster Exponent von postmigrantischen Theater?

Ich machte dort tatsächlich meine ersten professionellen Arbeiten: Es war ein Ort, an dem viele Menschen zusammenkamen, denen es, glaube ich, damals ähnlich ging im Theater wie mir. Zwar hat überall sonst niemand geleugnet, dass er*sie schwarz oder türkisch oder asiatisch ist. Doch man hat versucht, eher so unter dem Radar zu laufen. Die Identitätsfrage hat man sich im Theater nie so richtig getraut zu stellen. Ich habe zu der Zeit schon Bücher über afrodeutsche Geschichte und schwarze Geschichte gelesen und mich auch mit afrodeutscher Bewegung befasst. Doch ich kam nie auf die Idee, das in mein Theaterleben zu übertragen.

Warum nicht?

Internalisierter Rassismus. Theater ist halt weiß. Obwohl das postmigrantische Theater nur vom Begriff her etwas neues war und ich inzwischen viele Beispiele kenne von PoC, die lange davor in Deutschland Theater gemacht haben, war damals in mir gar kein Platz für die Idee, dass es so etwas wie afrodeutsches Theater geben könnte oder dass Schwarze Perspektiven dazugehören. Ich hatte kein Problem, Texte darüber zu schreiben. Doch die Idee, dass das in meine Theaterarbeit Einzug halten kann, hatte ich lange Zeit nicht.

Weil es unvorstellbar schien, dass das ins System eingespeist werden könnte?

Ja. Ich wollte ans Theater und sagte mit 16, 17 Jahren meiner Lehrerin für Darstellendes Spiel, dass ich Schauspielerin werden will. Sie sagte: Oh, das geht nicht, das kannst du nicht, weil du schwarz bist. Sie hat wahrscheinlich ein anderes Wort benutzt, doch das war die Aussage. Ich erzählte diese Geschichte zunächst als Beispiel für eine Rassismuserfahrung im Beruf. Inzwischen würde ich aber sagen: Verdammt, irgendwie hatte sie damals auch recht. Denn wer wurde Ende der 90er Jahre als Person of Color überhaupt an Schauspielschulen angenommen? Und wie viele »schwarze Rollen« gab es damals – viele Jahre vor Bühnenwatch und dem Bündnis kritischer Kulturpolitiker*innen und all denen, die diese Veränderungen im Betrieb in Gang gesetzt haben? Doch natürlich kann man auch darüber diskutieren, ob meine damalige Lehrerin den Realismus mit einer Kampfansage hätte verbinden sollen: einer Ermutigung an mich, zu kämpfen.

Im Gegensatz zu Theatermacher*innen, die politische Äußerungen vor allem in Programmheften, Interviews und Projektanträgen machen – sie also auf das ästhetische Feld beschränken – sind Sie auch politisch aktiv, bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zum Beispiel. Wie wichtig ist diese Tätigkeit? In welchem Verhältnis steht sie auch zur künstlerischen Arbeit?

Ich war schon in verschiedenen politischen Gruppen aktiv bevor ich mit dem Theater angefangen habe. Und ich werde das auch noch machen, wenn es mit dem Theater vorbei ist. Das benennen und bekämpfen von Ungerechtigkeiten ist ein Teil von mir. Ich habe auch immer das Gefühl, meinen eigenen Idealen nicht gerecht zu werden und nie genug zu tun. Wenn mich etwas bewegt, wenn es mir dringlich erscheint, dann schaue ich, wie ich zu dem Thema am besten arbeiten kann. Manches gehört auf die Straße. Aber zusätzlich habe ich noch die Möglichkeit, zu entscheiden: Mache ich ein Theaterstück dazu oder kann ich einen journalistischen Text schreiben.

Nach welchen Kriterien gehen Sie da vor? Wann wird ein dringliches Problem, ein Thema in Form eines Zeitungsbeitrags bearbeitet und wann als Theaterproduktion?

Theater ist einfach langsam: Die Antragsstellung und die Produktion, das dauert. An manche Sachen, die mich wütend machen, muss ich direkt ran. Und das geht, indem man auf eine Demo geht, eine Demo organisiert oder einen Artikel schreibt. Ich merke, dass ich beides brauche. Meine politische Arbeit fließt auch in meine Theaterarbeit ein. Das Langsame am Theater ist ja auch ein Vorteil. Hier finden für mich Themen Platz, über die ich selbst noch etwas lernen will, wo ich mir selbst eine längere Suche, Recherche und auch innere Auseinandersetzung wünsche. Hier kann ich viel fragender und uneindeutiger sein, als in so einem taz-Artikel. Im Theater geht es ja auch viel mehr um eine sinnliche oder emotionale Erfahrung als um Statements. Was ich am Theater besonders mag, ist dieser Moment, in dem man zusammenkommt. Und genau das liebe ich auch an Old-School-Aktionsformen wie einer Demo: Dass man eben gemeinsam durch eine Straße zieht!