Vorbereitung auf eine bessere Welt / Lust auf das Wagnis und den Weg

Von Elena Philipp

Drei Jahre Konzeptionsförderung ermöglichen Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen Kontinuität in einer tragfähigen Struktur.

ZUSAMMEN. In Großbuchstaben: Der Titel des Projekts von Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen ist Ansage und Aufforderung in einem. Gemeinsam haben die Schwarze Theatermacherin, Autorin und Aktivistin und ihre Mitstreiter*innen das Theater bereits maßgeblich verändert. Aber sie wollen es zu einem noch besseren Ort machen. Besser für diejenigen, mit denen sie kooperieren, koproduzieren und auf der Bühne stehen. In den noch immer weiß geprägten Strukturen von Produktionshäusern und Stadttheatern widmen Ayivi und ihre Kolleg*innen den PoC-Künstler*innen und einem diverseren Publikum ihre Aufmerksamkeit und Solidarität. Besser wollen sie die Theaterstrukturen auch füreinander machen, damit die Arbeit Freude bereitet. Und letztlich dient ihr Vorhaben uns allen, denn in einer Gesellschaft, in der das ZUSAMMEN im Vordergrund steht, geht es: allen besser.

Fit machen für die kommende Gesellschaft

„Das langfristige Ziel von ZUSAMMEN ist es, das postmigrantische und afrodiasporische Theater für die postrassistische Gesellschaft fit zu machen“, heißt es im Claim des Projekts, für das Simone Dede Ayivi und ihre Kompliz*innen aus allen Gewerken des Theaters eine dreijährige Konzeptionsförderung im Programm #TakeHeart des Fonds Darstellende Künste erhalten. Kühn klingt das Vorhaben, weit gedacht, auch: Lust machend auf das Wagnis und den Weg. Aber was genau ist damit gemeint, das Theater fit zu machen für eine kommende Gesellschaft?

„Mir ist es wichtig, an Utopien und positiven Zukunftsmodellen festzuhalten und Kunst zu machen, die nicht nur auf die Katastrophe vorbereitet, sondern auch auf das Gegenteil, die Anastrophe“, sagt Simone Dede Ayivi. „Wenn wir schon die Möglichkeit haben, in der Kunst Zukunft zu spielen, dann müssen wir uns doch bereit machen. Was ist, wenn wir plötzlich in einer diskriminierungsfreien Gesellschaft leben und damit gar nichts anfangen können?“ In jedem Antrag steckt eine Zukunftsprognose, so Ayivi: „Wie wird die Welt aussehen, wenn ich das Projekt durchführe?“ Diese Prognose wagt sie und hat damit stets Kunst von gesellschaftlicher Relevanz geschaffen.

Sich im Theater vorbereiten auf eine bessere Welt, könnte sich die Berliner Künstlerin als einen roten Faden für ihre künftige Arbeit gut vorstellen. Die langfristige Förderung durch den Fonds Darstellende Künste, zu der in ihrem Fall noch eine zweijährige Basisförderung durch den Berliner Senat hinzu kommt, macht es möglich, konsequent in die Zukunft zu denken. Hinter der Bühne – und im Scheinwerferlicht.

Vier Frauen sitzen auf einem rosa Plüschsofa. Die Frau ganz links hält ein Handy nach oben, um ein Selfie zu machen. Alle lachen in die Kamera. © Renata Chueire

Szene aus „Lets just be friends“ mit Simone Dede Ayivi (2. v.l.)

Alternative Zukunftsmodelle vorstellen

In „Lets just be friends“, dem ersten Teil der drei durch die Konzeptionsförderung anteilig finanzierten Produktionen, gehen Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen diesen von ihnen schon länger eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Die Performance hatte im Oktober 2022 Premiere an den Sophiensaelen, Ayivis Stammhaus in Berlin, seit sie dort 2014 ihre kritische Erkundung der deutschen Kolonialgeschichte „Performing Back“ zeigte.

In der #TakeHeart-geförderten Produktion geht es um Freund*innenschaften als feministisches Gegenkonzept zu herkömmlichen finanziellen oder familiären Solidarmodellen wie Familienunternehmen oder Ehen. „Wie verändert sich eine offiziell unverbindliche Freund*innenschaft, wenn wir gemeinsam Häuser bauen, Kinder großziehen, ein Unternehmen gründen oder für das Alter vorsorgen?“, fragte Ayivi in Interviews Menschen, die solche Modelle leben und damit über ein alternatives, zukunftsfähiges Zusammensein nachdenken.

Neue Arbeitsstrukturen schaffen

Wie die Protagonist*innen von „Lets just be friends“ haben Simone Dede Ayivi und ihre Kompliz*innen, auch mithilfe der #TakeHeart-Förderung, eine neue, tragfähigere Struktur begründet. Mit ihren drei engsten Mitarbeiter*innen, der Dramaturgin Selma Böhmelmann, der Produktionsleiterin Anna Mareike Holtz und Jones Seitz in der technischen Leitung, teilt sich Ayivi seit Anfang 2023 ein Büro. Ungestörter Raum für Besprechungen ist so wichtig wie Platz für alle Unterlagen. Hier entstehen die Ideen für neue Produktionen, hier werden Anträge geschrieben und hier haben auch diejenigen Kompliz*innen, die weiterhin nur zeitweise dazu stoßen, einen Anlaufpunkt.

„Wir können jetzt das ganze Jahr über zusammen arbeiten“, freut sich Simone Dede Ayivi über den gemeinsamen Raum, der als eigenes Projekt stetig den wechselnden Arbeitserfordernissen angepasst wird. Ayivi erzählt von der Einsamkeit der projektbezogenen Arbeit, zumal sie als Schwarze Theatermacherin im weißen Theaterbetrieb anfangs auf sich allein gestellt war: Ihren Studienkolleg*innen in Hildesheim fehlte die PoC-Perspektive, am deutsch-türkischen, auf Schauspiel und Tanz fokussierten Ballhaus Naunynstraße, an das sie in den 2010er Jahren angedockt war, fühlte sie sich als Schwarze Performerin wie „der Alien“, sagt sie. Später erst fand sie die Menschen, die ihre Fragestellungen teilen.

Begeisterung für die Zusammen-Kunst

Zusammen arbeitet es sich angenehmer: „Wir haben alle eine große Liebe zur Kunst, die nicht karrieristisch motiviert ist“, sagt Simone Dede Ayivi auf die Frage, welche Werte sie und ihre Kompliz*innen verbinden. Zweckfreies Ausprobieren, das zu überraschenden Ergebnissen führen kann, ist möglich, wenn man kontinuierlich miteinander probt: „Wenn wir zusammen sind, haben wir etwas Kindlich-Verspieltes. Gestern haben wir den halben Tag auf dem Hof gezündelt, weil wir Pyrotechnik für das Video zu einer neuen Produktion ausprobiert haben.“

Menschlich auf einer Wellenlänge zu sein, um in den Proben „acht Wochen energetische Achterbahnfahrt“ durchzustehen, ist für Ayivi so entscheidend wie das Fachliche, wenn jemand neu dazukommt für eine ihrer Produktionen, die noch immer vor allem in der Freien Szene stattfinden. Simone Dede Ayivi ist länger auch schon an Stadt- und Staatstheatern präsent – ihre Adaption von Mithu Sanyals Erfolgsroman, „Identitti Rezeptionista“, wechselt vom Schauspielhaus Graz mit der Intendantin Iris Laufenberg ans Deutsche Theater Berlin. Ob Produktionshaus oder Stadttheater, Ayivi begeistert sich für die Zusammen-Kunst: „Ich finde es ganz großartig, mit Leuten zusammenarbeiten zu können, die eine so unglaubliche Expertise in ihren Gewerken haben, die solche Nerds sind und zugleich neugierig auf die anderen.“

Eine Woche vor dem Gespräch haben Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen ihr zehntes Jubiläum gefeiert. „Ich war überwältigt, wie viele Menschen das sind, mit denen ich an unterschiedlichen Punkten kollaboriert habe. Aber es gibt den Kern, der in den letzten zehn Jahren stetig mit dabei war.“ Diesen verbinden auch politische Anliegen: „Wir alle haben ein Leben außerhalb des Theaters und sind als Aktivist*innen engagiert. Da ist es dann schon mal wichtiger, auf eine Demo zu gehen als bei einer Probe zu sein.“

Dekoloniale Stadtpolitik umsetzen

Künstlerische, aktivistische und journalistische Arbeit wie ihre taz-Kolumne „Diskurspogo“ laufen bei Ayivi parallel und befruchten einander. So auch beim zweiten Teil der #TakeHeart-geförderten ZUSAMMEN-Trilogie, dessen Konzeption Simone Dede Ayivi, Selma Böhmelmann, Anna Mareike Holtz und Jones Seitz parallel zu anderen Projekten lang schon beschäftigt.

Ursprünglich für Oktober 2023 geplant, ist die Premiere ins Jahr 2024 gerutscht, weil die Sophiensaele nach einem Wasserschaden renoviert werden müssen. Auch inhaltlich hat sich in den fast zweieinhalb Jahren seit der Antragstellung einiges verändert. Unter dem Titel „Stürmt das Schloss“ wollten sich Ayivi und ihre Kompliz*innen mit Gentrifizierung und PoC-Repräsentation im öffentlichen Raum beschäftigten. „Schwarze Menschen und PoC sind besonders stark von Gentrifizierung betroffen. Aber wenn wir darüber nachdenken, ‚wem gehört die Stadt?‘, sind wir so schnell bei den dekolonialen Kämpfen um Straßennamen und Denkmäler, dass die Frage lautet, ‚wer wird in den Städten geehrt?’, wessen Geschichte ist sichtbar und welche nicht?“, beschreibt Ayivi den Themenschwenk.

Anknüpfen kann sie damit an frühere Theaterarbeiten wie „Performing Back“, aber auch an aktivistische Initiativen. 2022 hat sie als Sprecherin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, kurz ISD, gemeinsam mit dem politaktivistischen Peng-Kollektiv eine Deutschlandkarte veröffentlicht, die nach deutschen Kolonialverbrechern benannte Straßen und Denkmäler verzeichnete. Lange hat Ayivi mit der ISD auch dafür gekämpft, dass die Berliner ‚Mohrenstraße‘ in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt wird und damit den ersten Gelehrten afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität ehrt. Vor kurzem erst wurde eine Musterklage gegen die schon 2021 beschlossene Umbenennung abgewiesen: der Weg scheint endlich frei.

Vier Frauen posieren in einem großen goldenen Bilderrahmen auf der Straße vor einem Haus. © Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen

Ein Team vor neuen Räumen: Anna Mareike Holtz, Jones Seitz, Simone Dede Ayivi, Selma Böh-melmann (v.l.)

Aus einer neuen Leichtigkeit heraus

Veränderung ist aufwändig, aber erreichbar, hat Simone Dede Ayivi in den letzten Jahren erfahren. Stand in der Projektskizze zu ZUSAMMEN noch, dass es ein Anliegen sei, „marginalisierten Künstler*innen die Notwendigkeit zu nehmen, ihre Identitätsverhandlungen und biographischen Bezüge in den Vordergrund ihres Werks zu stellen“, strahlen Ayivis Formulierungen im Zoom-Gespräch eine positive und aufbruchsbereite Stimmung aus. „Ja, es hat sich etwas verändert“, bestätigt sie. „Durch aktivistisches Community Building sind zentrale Forderungen Schwarzer Menschen im Mainstream angekommen. Und am Theater muss ich nicht mehr davon ausgehen, die einzige Schwarze Person im Raum zu sein. Wir sind mehr geworden und inzwischen auch als PoC im Kulturbetrieb organisiert.“ Diese Veränderung hat auch Auswirkungen auf die Ästhetiken: „Aus diesem anderen Selbstbewusstsein und einer größeren Leichtigkeit heraus haben wir andere Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Es geht in unseren Performances nicht mehr darum, einem weißem Publikum etwas zu erklären, sondern etwas mit anderen PoC zu teilen. Das möchte ich genießen und ausschöpfen.“

Was früher oft als autobiographisch und allzu selbstzentriert gelesen wurde – nach dem Motto: Betroffene teilen ihre Erfahrungen –, wird jetzt öfter als universell erkannt: „Wenn mehr Vorwissen da ist, ist ein Stück über rassistische Gewalt auch ein Stück über Gewalt generell, es geht dann auch um Zivilcourage und Verantwortung im öffentlichen Raum. Wie mische ich mich ein? Im besten Falle nehme ich das Verständnis mit nach Hause, dass verschiedene Menschen zur selben Zeit am selben Ort ganz unterschiedliche Erfahrungen machen.“

Fürs Theater begeistern

Lang hat es gedauert, bis sich Schwarze Menschen und Persons of Color in die Theater und die Spielstätten der freien Szene getraut hätten, erzählt Ayivi. „Früher bin ich von Tür zu Tür gegangen, um Bekannte zu meinen Vorstellungen einzuladen.“ Aber jetzt erreicht sie ihr PoC-Publikum und schafft Veranstaltungen, in denen sich alle sicher fühlen. Durch die Arbeit der Communities und die Verschiebungen im öffentlichen Diskurs hat sich auch an den Theatern etwas geändert: „Die Stadttheater spielen Autor*innen of Color, die erfolgreich sind – Mithu Sanyal oder Fatma Aydemir. Dort hat man erst die Literatur gebraucht“, so Ayivi. Allerdings musste nur eines der Theater, die Mithu Sanyals „Identitti“ inszenierten, dafür keine Gäste engagieren, weil es genug PoC im Ensemble gab, erzählt sie. Das heißt, auch wenn es für Ayivi als Schwarze Theatermacherin leichter ist als vor zehn Jahren, ihre Themen zu setzen, ist die Zugänglichkeit nach wie vor ein Problem: „Aus rassistischen und klassistischen Gründen bekommen viele Menschen, die den Beruf gut machen könnten, keine Möglichkeit für eine Hochschulausbildung oder eine Hospitanz.“

Auch hier verstehen sich Simone Dede Ayivi und ihre Kompliz*innen als eine Art Vorfeldorganisation des Theaters: „Ich sehe es als meine Aufgabe, Menschen fürs Theater zu begeistern, denn ich bin, trotz all der Missstände, begeistert. Immer noch“, hält die Künstlerin ein Plädoyer für die Darstellende Kunst. „Menschen kommen hier an einem Ort zusammen, der ein ganz wichtiger Diskursraum ist, in der Mitte der Stadt. Wir müssen die Theater öffnen für alle.“ Nur ZUSAMMEN geht die Gesellschaft von morgen. Und Simone Dede Ayivi & Kompliz*innen entwerfen sie mit – um sich gemeinsam mit ihrem Publikum darauf vorzubereiten.

Von der Förderung in den Probenraum und auf die Bühne – die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp besuchen im Rahmen von #TakeHeart des Fonds Darstellende Künste geförderte Projekte.