Wir sind noch viele

Von Elisabeth Wellershaus

Ausgiebig wurde beim B.A.L.L. auf Kampnagel darüber diskutiert, wie sich den Herausforderungen der Gegenwart begegnen lässt. Auch zum Umgang mit rechtspopulistischer Politik und rechtsextremen Gefahren hatten viele Künstler*innen etwas zu sagen. Eine Annäherung an widerständige Künste.

„Was gibt Euch Kraft?“ Das ist am B.A.L.L. Wochenende auf Kampnagel eine viel gestellte Frage. Sie fällt auf Podiumsdiskussionen, bei Flurbegegnungen, in Workshops oder am Tresen. Überall dort, wo Gespräche sich um aktuelle Nachrichtenlagen und generelle Überforderung drehen – und auch da, wo es politisch konkreter wird. Bei manchen Veranstaltungen etwa werden die Herausforderungen und Gefahren durch immer mehr Raum einnehmende rechte Positionen deutlich benannt. Und gerade im Umfeld der Freien Szene scheinen auf der Suche nach angemessenem Umgang damit auch neue Formen der Solidarität zu entstehen.

Immer wieder treffe ich an diesem Wochenende auf Menschen, die sich der Hoffnungslosigkeit nicht hingeben wollen. Die sich politischen Situationen stellen, ohne sich als Künstler*innen von ihnen vereinnahmen zu lassen. Dies zeigt sich vor allem in Formaten, in denen auch das Publikum ausdrücklich dazu angehalten wird, selbst Teil der Auseinandersetzungen zu werden.

Eine dieser Veranstaltungen besuche ich am Samstagvormittag in der Halle K4. Sie heißt „Kunst des Gemeinsamen. Ein Intervisionsparcours“, und lädt zu einer Art Speed-Dating im Labor-Dschungel ein – zum Kennenlernen von immerhin zehn verschiedenen Lab-Projekten. In kleinen Besucher*innen-Gruppen, die durch Zufallsprinzip entstehen, sollen wir uns von Station zu Station vorarbeiten. Nach ein bis zwei Teambuilding-Aufgaben sitzt meine Gruppe am Tisch des Labors „FESTE FEIERN".

Das Projekt von Sandra Bringer und Carola Lehmann hat sich damit beschäftigt, wie in ländlichen Räumen Begegnung zelebriert wird. Ihr Team hat sich vor allem in ostdeutschen Regionen umgesehen und sich gefragt, welche gesellschaftlichen und politischen Gruppen dort bei Festen oft anwesend sind. Welche Ideen von Heimat und Identität zwischen ihnen zirkulieren. In verschiedensten Formaten – von Spielplatzfesten mit Mitmach-Aktionen bis zu Stadtspaziergängen in schriller Verkleidung — haben sie erprobt, wie darstellende Künstler*innen manche Begegnungs- und Auseinandersetzungsmomente unterstützen können und haben folgende Erkenntnis mitgenommen: Wenn die AfD und die Neue Rechte Mittel der Fiktionalisierung nutzen, um Wirklichkeiten zu konstruieren, dann wollen sie sich darauf zurückbesinnen, dass dies doch eigentlich „ein Privileg der Kunst ist.“

In einem dunkel geleuchteten Raum stehen große runde Tische verteilt. Die Tische sind heller beleuchtet. An ihnen sitzen Menschen, die im Gespräch vertieft sind. © Alexandra Polina

Nach zehn Minuten bei den Initiator*innen von „FESTE FEIERN“ erklingt Musik, und es geht weiter zur nächsten Station. Erstaunlich, was sich in derart kurzer Zeit vermitteln, wie sich ein Publikum in Gespräche und kleine Aktionen verwickeln lässt. An den folgenden Tischen sammeln wir Informationen über Kunst im öffentlichen Raum, und Clair Howells vom Artist Lab „Stadt Land Neu“ verwickelt uns in ein Gespräch über Begegnungsformen jenseits der eigenen Blasen. Andernorts erfahren wir, wie das gemeinsame Entwickeln von digitalen Horrorspielen Menschen auch analog verbinden kann und von der Arbeit der Akademie der radikal Sorgetragenden.

Auch bei unserem Kurzbesuch bei den Aktivist*innen des Kollektivs Staub zu Glitzer lernen wir Neues. Das Labor-Team von „Organizing Cultural Commons“ berichtet von der Besetzung der Berliner Volksbühne, von der Zusammenarbeit mit der Berliner Krankenhausbewegung, der Union für Obdachlosenrechte und mit Omas gegen Rechts. Es erzählt von der Sehnsucht nach einem Theater, in dem sich alle willkommen fühlen und vom Versuch, die Öffnung deutscher Theaterhäuser gemeinschaftlich zu erwirken. Die Atmosphäre an diesem Vormittag ist voller Glitzer und Konfetti. Es riecht nach zarten Verbindungen, nach Trial-and-Error und nach dem Abtasten jener gesellschaftlichen Leerstellen, die sich in der Begegnung mit wechselnden Publika immer wieder neu erkunden lassen.

Blick aus den oberen Zuschauerreihen auf eine Theaterbühne. Dort sitzen sechs Personen nebeneinander auf Stühlen in einer Podiumsdiskussion. © Alexandra Polina

Strategien und Positionen gegen rechte Backlashs diskutieren Anica Happich, Frauke Wetzel, Hamid Mohseni, Anne Schneider, Steffen Klewar und Marietheres Jesse (v.l.).

Am Nachmittag werden gesellschaftspolitische Fragen im klassischeren Rahmen verhandelt. Doch auch in der K2 sitzen Menschen auf dem Panel, die neue Modelle des Austauschs erproben. Bei dieser Podiumsdiskussion geht es um „Strategien und Positionen gegen rechte Backlashs“. Anica Happich, Steffen Klewar, Hamid Mohseni, Marietheres Jesse, Frauke Wetzel und Moderatorin Anne Schneider sind zusammengekommen, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie suchen nach Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen, in denen rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte immer häufiger an heterogenen Gemeinschaften und demokratischen Strukturen rütteln. Wo Herabsetzung, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit zunehmen. Und es scheint für niemanden in der Runde eine Option zu sein, sich von der Angst vor rechter Gewalt in die Handlungslosigkeit treiben zu lassen.

Anica Happich leitet seit drei Jahren das Phoenix Theaterfestival und beschäftigt sich als Vorstandsmitglied des Thüringer Theaterverbands mit den verlassenen Kulturorten und vergessenen Geschichten in der Region. Hamid Mohseni arbeitet seit 2017 in der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Marietheres Jesse ist Teil des queerfeministischen FLINTA-Kollektivs CHICKS* und hat die Diffamierung ihrer Arbeit und Bedrohungen von Rechts selbst erfahren. Frauke Wetzel arbeitet in der politischen Bildung und leitet derzeit das Projekt „Neue unentdeckte Narrative“ in Chemnitz. Und Steffen Klewar weiß als Programmleiter des Fonds Darstellende Künste, wie rechte Propaganda auch auf struktureller, kulturpolitischer Ebene extremen Druck auf Künstler*innen und Spielstätten ausüben kann. Die fünf Gäst*innen arbeiten mit unterschiedlichsten Methoden gegen die Vereinnahmung von Kunst und die Verengung von Gedanken, und sie benennen die Herausforderungen dieser Tage deutlich. Sie berichten vom schwierigen Navigieren durch eine Gesellschaft, die sich zwischen populistischer Hetze und einer Verhärtung gegenüber „fremden“ Lebensrealitäten verschließt – die ihre Haltungen in immer starrere Positionen einzementiert.

Zu Beginn der Veranstaltung hatten Daniela Nicoló und Enrico Casagrande von der Theatergruppe Motus einen Impulsvortrag gehalten, danach hatte der Performancekünstler Gin Müller gesprochen. Alle drei hatten die Repressionen in ihren Heimatländern Italien und Österreich beschrieben, die politischen Bemühungen, kulturelle Begegnung zu verunmöglichen und gesellschaftsübergreifende Solidarität zu verhindern. Nicoló und Casagrande berichteten von immer enger werdenden Handlungsspielräumen und von Theatermacher*innen, die in Italien unter Druck gesetzt würden, um bestimmte Themen erst gar nicht auf der Bühne zu verhandeln – Gender und Migration etwa. Müller erzählte davon, wie rechte Gruppierungen in Österreich sich linker Widerstandspraktiken bedienten und sich medial wie marketingtechnisch spektakulär in Szene setzten. Doch als er seinen Vortrag mit Fotos von queerfeministischen Aktionen beschließt, als er Bilder von der „Perversen Heimatpartei“ zeigt, dreht sich die Stimmung im Saal von angespannt zu amüsiert.

Während der anschließenden Panel-Diskussion wird Steffen Klewar sagen, dass Veranstaltungen wie diese ihm gerade Kraft geben. „Wir sind noch viele“, sagt er. „Wir müssen uns nur sehen und erkennen – über die Differenzen hinaus.“ Anica Happich wird ihm zustimmen. Und beim Blick ins Publikum wird sie Maja entdecken, eine ältere Dame, die sich mir vor einigen Stunden als Omas gegen Rechts vorgestellt hatte. „Ich habe dich neulich in Pankow bei einer Demo gesehen“, ruft sie ihr von der Bühne aus zu. Denn manchmal erkennen wir einander bereits.