Zusammen stark

Von Elena Philipp

Das Figurentheaterzentrum Westflügel Leipzig hat mit einer Netzwerk- und Strukturförderung seine internationalen Verbindungen vertieft und verstetigt. Dana Ersing im Gespräch mit der Kulturjournalistin Elena Philipp über die Wichtigkeit von Allianzen, Verbindungen und Kooperationen.

Theater kann Dingen Leben einhauchen. Wer einmal erlebt hat, wie sich ein Häuflein Holz mit Fäden erhebt, die Glieder sortiert und zu sprechen beginnt oder wie sich ein Waschlappen in einen quasselnden Fisch verwandelt, weiß, welche Magie das Figuren- und Objekttheater entfalten kann. In der Hierarchie der Darstellenden Künste, die eine rein imaginäre ist und die sich erst langsam aufzulösen beginnt, stehen jedoch Sprechtheater und Performance nach wie vor weiter oben als Tanz oder Figurentheater. Ausdruck finden die Hierarchien in den Fördersummen, die zur Verfügung stehen, im Grad der Institutionalisierung, an der es einer Kunstform mangelt, oder auch an der Berichterstattung. „Figurentheater gilt in den Medien immer noch oft als reines Kinder- oder Puppentheater. Als zeitgenössische Kunstform ernst genommen werden wir von wenigen“, sagt Dana Ersing, die das internationale Figurentheaterzentrum Westflügel Leipzig mit leitet. Der Westflügel Leipzig, seit bald 20 Jahren als internationales Produktionszentrum für Figurentheater etabliert, arbeitet an der Abschaffung dieser Hierarchien und an einer besseren Sichtbarkeit für das Figuren- und Objekttheater.

Ein Performer sitzt, hält ein Plastikgewehr vor sich und eine Papierpuppe. Hinter ihm steht eine Performerin, die ihm ihr Bein mit High Heel über die Schulter legt. Sie trägt Teufelshörner auf dem Kopf und hält eine Handpuppe dicht neben seinen Kopf. © Dana Ersing

Fest verbunden mit dem Westflügel Leipzig: die Gruppe Lehmann und Wenzel, hier mit "Der Freischuetz".

Vernetzung als Arbeitsgrundlage

Die Förderung der Künstler*innen ist dabei ein Hauptanliegen. Und dafür braucht es ein stabiles Fundament, wie Dana Ersing erklärt: „Es ist wichtig, dass wir breit aufgestellt sind. Ohne Netzwerke kann man Künstler*innen nicht gut fördern.“ Schon bei der Gründung im Jahr 2003 wurde auf Internationalität Wert gelegt. „Wenn damals nicht schon so viel Vernetzung stattgefunden hätte, wäre der Westflügel nie so groß geworden“, sagt Ersing. „Wir waren und sind ein Haus, an das sich Künstler*innen wenden können, die Unterstützung brauchen.“ Ein festes Ensemble hat der Westflügel nicht, aber stetig vor Ort arbeiten die Figurentheater Wilde & Vogel sowie Lehmann und Wenzel, die mit Künstler*innen und Spielstätten weltweit verbunden sind.

Die Musikerin Charlotte Wilde und der Figurenspieler Michael Vogel haben den Westflügel 2003 mit gegründet und sind nach wie vor an seiner Leitung beteiligt. Weil künstlerische und organisatorische Bereiche eng kooperieren, ist der Vernetzungsgedanke am Westflügel Teil des alltäglichen Arbeitens. „Allein auf weiter Flur will eigentlich niemand sein“, sagt Dana Ersing. „Es ist immer besser, sich austauschen zu können und mit andern Häusern in Verbindung gebracht zu werden.“

2020 schloss sich der Westflügel mit dem FITZ Das Theater animierter Formen in Stuttgart und der Schaubude Berlin zur „Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater“ zusammen. So bündeln drei der größten Häuser für freischaffend produziertes Figuren- und Objekttheater in Deutschland ihre Kräfte, um das Genre Figuren und Objekttheater voranzubringen – laut Gründungserklärung mit gemeinsamen künstlerischen Projekten und Koproduktionen, mit Nachwuchsförderung, kulturpolitischer Arbeit, Fortbildungen und Austauschformaten auf organisatorischer Ebene.

Gemeinsam durch eine bittere Zeit

Dieser lange gepflegte Zusammenhalt war dann auch eine Grundlage, um einigermaßen gut durch die Pandemiezeit zu steuern. Ein Glück für den Westflügel war auch, dass sich das denkmalgeschützte Jugendstilgebäude im Besitz des Trägervereins Lindenfels Westflügel e.V. befindet. „Wir haben keine sehr hohen laufenden Kosten, daher haben wir uns um den Westflügel als Haus keine großen Sorgen gemacht“, sagt Dana Ersing. Seit 2011 wird das Figurentheaterzentrum von der Stadt Leipzig institutionell gefördert. In der Corona-Zeit traten damit akute Finanzierungsfragen, die viele kleinere Spielstätten bedrohten, teilweise in den Hintergrund. „Wichtiger war die psychosoziale und finanzielle Unterstützung der Künstler*innen, die von den Lockdowns so betroffen waren“, sagt Dana Ersing. „Unabhängig von den finanziellen Sorgen, die sich zu Teilen mit den Soforthilfen abschwächen ließen, war das drohende Berufsverbot für viele schwer auszuhalten, die Frage: Gibt es meinen Beruf noch? Wie wird das in einem Jahr? Es hat sich deutlich gezeigt, dass Ausfallhonorare an der Stelle nicht alles sind.“

Besonders die Schließung der Kulturorte in Sachsen im Winter 2021, als es im übrigen Bundesgebiet keine Corona-Lockdowns mehr gab, erinnert Dana Ersing als schwierige Phase. „2020 waren wir voller Ideen, haben uns viele Online-Formate ausgedacht. Wir mussten kreativ sein, aber das können wir und so haben wir schnell Sachen umgesetzt. Mit jedem weiteren Lockdown war mehr die Luft raus. Uns hat Energie gefehlt, Projekte umzusetzen. Die Schließung im Winter 2021 war bitter. Mitte November bis Mitte Januar – das ganze vorweihnachtliche Programm, das finanziell wichtig ist, fiel weg.“

Foyer des Westflügel Lindenfels. Eingedeckte Tisch sind zusammengestellt, rings herum sitzen Menschen, essen, trinken und reden miteinander. © Thilo Neubacher

Austausch und Vertiefung: Akteuer*innen der Figuren- und Objekttheater-Szene treffen sich beim "Figure It Out"-Festival in Leipzig.

Etablierte Instrumente für den Austausch von Wissen

Aktiv gegen diese als bitter empfundene Zeit haben der Westflügel und die Allianz ihre virtuellen Stammtische gesetzt. Anfangs widmeten sie sich der Corona-Situation der Künstler*innen und den laufenden Änderungen der Hygienebestimmungen. „In der Allianz ging sehr viel darum: Wie geht man mit der Situation um, kommt man wieder hoch?“, so Dana Ersing. Aus dem Instrument zur Bewältigung der akuten Lage ist mittlerweile eine dauerhafte Einrichtung geworden – die Online-Treffen haben sich zu Gelegenheiten der Qualifizierung und des Wissenstransfers entwickelt. Im Dezember 2022 ging es um die Rolle des Publikums im Produktionsprozess, im Februar 2023 tauschten sich Akteur*innen der Figurentheaterszene mit FITZ, Schaubude und Westflügel über künstlerische integrierte Audiodeskription aus. „Ob es um Buchhaltung geht, um Mindesthonorare oder den Umgang mit Barrierefreiheit: Es ist wahnsinnig viel wert, wenn man mit Leuten spricht, die von ähnlichen Dingen betroffen sind“, erklärt Dana Ersing. „Und auch wenn die Förderstrukturen in den Bundesländern unterschiedlich sind, gibt es in Stuttgart oder Berlin immer wieder Modelle und Ideen, mit denen wir an die Stadtverwaltung in Leipzig herantreten können und umgekehrt.“

Wissen ist entstanden und kursiert – das ist für freie Orte und Gruppen eine unschätzbare Ressource. Ermöglicht hat diese Vertiefung und Verstetigung eine Netzwerk- und Strukturförderung durch den Fonds Darstellende Künste. Im Juni 2022 organisierte der Westflügel das Festival „Figure It Out“, mit einem umfangreichen Bühnenprogramm, gefördert von der Stadt Leipzig und der Kulturstiftung des Freistaat Sachsen, und einem parallelen internationalen Netzwerktreffen, ermöglicht von der Netzwerk- und Strukturförderung. „Das Schöne bei ‚Figure It Out‘ war, dass sich Veranstalter*innen zum Fachaustausch trafen; für die beteiligten Künstler*innen war es die tolle Möglichkeit, auf internationale Veranstalter*innen zuzugehen“, sagt Dana Ersing. Ein Win-Win-Format.

Meilenstein der Netzwerkarbeit

Mit den Fördergeldern des Fonds Darstellende Künste aus dem Programm NEUSTART KULTUR konnte der Westflügel Redner*innen und Moderator*innen für die Panels einladen, die Projektleitung, die Öffentlichkeitsarbeit und die Technik bezahlen sowie eine Dokumentation, Reisen und Übernachtungen finanzieren. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, aber sogar bei einem etablierten Ort des Figurentheaters – 2015 erhielt der Westflügel Leipzig den Theaterpreis des Bundes – beruht etliches an Projekten und Veranstaltungen auf unbezahlten Überstunden oder ehrenamtlicher Tätigkeit. Mit der Netzwerk- und Strukturförderung konnten nun erstmals auch Honorarkräfte für die Netzwerkarbeit verpflichtet werden und diese mit Nachdruck vorangetrieben werden. „Deswegen ist diese Förderung so wichtig“, betont Dana Ersing.

Ergebnisreich seien die internationalen Treffen bei „Figure It Out“ gewesen. „Wir haben noch einmal zusammengetragen, welche Netzwerke und Allianzen es schon gibt. Die Figurentheaterszene ist stark vernetzt, da gibt es lang existierende Verbände und Organisationen. Und wir haben uns gefragt, zu welchen Themen wir uns noch besser abstimmen können. Wenn wir internationale Künstler*innen nach Leipzig einladen, könnten sie vielleicht auch am WUK Halle oder dem Societaetstheater Dresden gastieren oder zur Schaubude nach Berlin weiterreisen, um die Nachhaltigkeit der Reise zu gewährleisten“, sagt Dana Ersing. „Wer hat Proberäume, wo gibt es Residenzen? Da ist es nie verkehrt, zu wissen, wo man anfragen könnte. Und ein Gesicht vor Augen zu haben, wenn man eine Mail schreibt, ist wichtig.“

Endlich einmal ausreichend Zeit investieren konnte der Westflügel Leipzig in seine Netzwerke und Strukturen. Nach dem Auslaufen der Förderung müssen die schon im laufenden Betrieb ausgelasteten Mitarbeiter*innen die meiste Netzwerkarbeit nun wieder ehrenamtlich mit erledigen. Immerhin ist der Westflügel Leipzig und mit ihm die Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater ein großes Stück vorangekommen: „Wir haben unsere Verbindungen vertieft“, sagt Dana Ersing. Die Öffentlichkeitsarbeit der Häuser beziehe sich stärker aufeinander, die Einladungen zu Festivals hätten zugenommen und der Kontakt sei enger und persönlicher geworden. „Die Gründung der Allianz war hier grundlegend“, sagt Ersing, „aber ‚Figure It Out‘ war auf jeden Fall ein Meilenstein“. Das Figurentheater aus Deutschland ist auf dem internationalen Parkett sichtbarer geworden. Und positioniert sich einmal mehr als lebendige, wandlungsfähige Kunstform.


Von der Förderung in den Probenraum und auf die Bühne – die Kulturjournalist*innen Georg Kasch und Elena Philipp besuchen im Rahmen von #TakeHeart des Fonds Darstellende Künste geförderte Projekte.