Kanon der Förderung der Freien Darstellenden Künste auf Bundesebene
Vortrag beim Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft"
Prof. Dr. Julius Heinicke & Johanna Kraft, Universität Hildesheim
Exposé
Verschiedene Institutionen fördern Projekte und Vorhaben in den (Freien) Darstellenden Künsten auf Bundesebene. Die Studie untersucht, welche kulturpolitischen Aufträge sie erfüllen, welche thematischen Schwerpunkte sie vertreten und auf welche Art und Weise sie sich gegenseitig ergänzen. Es werden Institutionen, Vereine, Organisationen und Veranstalter*innen, die Projekte der Freien Darstellenden Künste auf Bundesebene unterstützen und fördern betrachtet: Die Kulturstiftung des Bundes und das Goethe-Institut benennen in ihrem Stiftungs- und Vereinszweck die Unterstützung von für den Bund relevanten Kulturprojekten. Der Fonds Darstellende Künste (Fonds), der Bundesverband Freie Darstellende Künste (BFDK) und der Dachverband Tanz Deutschland e.V. (DTD) sowie das Nationale Performance Netz / Joint Adventures und Diehl + Ritter engagieren sich ebenfalls bundesweit.
Aufgrund der Geschichte der Kulturförderung in Deutschland und der gegenwärtigen Herausforderung für die Freien Darstellenden Künste bewegt sich die Studie innerhalb mehrerer Spannungsfelder. Das Grundgesetz formuliert mit Artikel 30 hinsichtlich der inländischen Kulturförderung deutlich die Zuständigkeit der Länder und Kommunen, der Bund ist dagegen für die auswärtige Kulturpolitik zuständig (Artikel 33). Dies wird im Koalitionsvertrag von 2018 noch einmal bekräftigt: „Im Sinne des kooperativen Kulturförderalismus stimmen wir die Kulturförderung des Bundes verstärkt mit den Ländern ab. Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern.” Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Gründung der Kulturstiftung des Bundes (KSB) im Jahre 2002 einige Vorbehalte seitens der Länder und Kommunen mit sich brachte, da letztere ihre Hoheit über Kunst und Kultur bedroht sahen. Diese kritischen Stimmen scheinen, wohl auch aufgrund der offenen und verschiedene Akteur*innen einbindenden Arbeitsweise der Kulturstiftung des Bundes, nach und nach zu verstummen, doch ist der Länder-Bund-Konflikt keinesfalls gelöst. So zeigt sich auch in Zeiten der Corona-Nothilfen, dass die Länder und Kommunen zwar von den Bundesprogrammen profitieren, jedoch insbesondere in der ersten Phase des Programms NEUSTART KULTUR nur teilweise in die Entscheidungsprozesse eingebunden wurden und nun vor der Herausforderung stehen, dass es sich um einmalige Fördermittel handelt, welche die Kulturlandschaft nicht langfristig sichern kann.
Hinsichtlich des Themas und Inhalts, demnach dem Kanon, mit welchem sich diese Teilstudie beschäftigt, stellen sich ebenso Fragen der Deutungs- bzw. Diskurshoheit: Welche Themen begründen eine Förderung seitens des Bundes, erscheinen für diese Ebene relevant? Neben dieser inhaltlichen Begründung sticht immer wieder eine künstlerisch-qualitative Bewertung hervor. Eine bundesweite Förderung wird oftmals mit überregionaler künstlerischer Qualität begründet, welche mittels der verschiedenen Expert*innen in den Jurys festgestellt wird. So stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien künstlerische Qualität bewertet wird.
Um die in dieser Ausgangslage entstehenden Herausforderungen und Fragen diskutieren und den Spannungsfeldern auf unterschiedliche Ebenen begegnen zu können, gliedert sich die Studie in drei Teile:
Aufgrund der Fokussierung von Themen innerhalb der Bundesförderung und dem Ziel der Studie, den Kanon zu betrachten, widmet sich Teil 1 den verschiedenen Inhalten und Themen und konturiert diese grob mittels diskursiver Verfahrensweisen innerhalb bundesweiter politischer und gesellschaftlicher Debatten.
Schwerpunkt Teil 2 nimmt die verschiedenen Institutionen in den Blick und betrachtet die Art und Weise, wie thematische und inhaltliche Schwerpunktsetzungen generiert und verfolgt werden. Die Studie wertet hierbei Website, Positionspapiere und Jahresberichte aus und ergänzt diese Verfahrensweise um empirische Methoden. So wurden mehrere Expert*inneninterviews mit Programmbeauftragten, Mitarbeiter*innen und Jurymitgliedern der Institutionen geführt, die ebenfalls in diesen Teil einfließen.
Teil 3 fasst die Ergebnisse der ersten beiden Teile zusammen, fragt nach Herausforderungen und entwickelt Perspektiven. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Frage, wie der thematische vielfältige Kanon durch die Bundesförderung nachhaltig garantiert oder auch verstetigt bzw. ausgebaut werden kann, sondern auf welche Art und Weise dies nachhaltig und im Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteur*innen geschehen kann bzw. welche Rolle die Darstellenden Künste einnehmen.
Beteiligte
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Prof. Dr. Julius Heinicke
Universität Hildesheim
© Die HoffotografenProf. Dr. Julius Heinicke
Universität HildesheimJulius Heinicke ist Professor für Kulturpolitik und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Cultural Policy for the Arts in Development“ an der Universität Hildesheim. Von 2017 bis 2020 war er Professor für angewandte Kulturwissenschaften an der Hochschule Coburg im Projekt „Coburger Weg“, das 2019 mit dem Genius Loci-Preis des Stifterverbands ausgezeichnet wurde. Nach dem Studium der Kultur- und Theaterwissenschaften promovierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin über Theater und Politik in Zimbabwe und forschte und lehrte danach vier Jahre lang am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 2017 leitet er des Forschungsprojekts „Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung“ und habilitierte sich 2019 mit der Schrift „Sorge um das Offene: Verhandlungen von Vielfalt mit und im Theater“, erschienen im Verlag Theater der Zeit.
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Johanna Kraft
Universität Hildesheim
© Henry CyreniusJohanna Kraft
Universität HildesheimJohanna Kraft arbeitet seit 2020 bei der LKJ Baden-Württemberg als Bildungsreferentin im FSJ Kultur. Von 2015 bis 2019 studierte sie den Master Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim mit dem Schwerpunkt Internationale Kulturpolitik und Arts Education.