Förderung von Nachhaltigkeit
Vortrag beim Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft"
Dr. Maximilian Haas, Universität der Künste, Berlin
& Prof. Dr. Sandra Umathum, Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz, Berlin
Exposé
2015 haben sich die Vereinten Nationen rechtlich bindend darauf verständigt, die Klimaerhitzung auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, da die Klimafolgen jenseits dieser Zunahme der globalen Durchschnittstemperaturen nicht mehr beherrschbar sein werden. Wie der neueste Sachstandsbericht des Weltklimarats belegt, wird sogar das 2-Grad-Ziel bereits 2050 gerissen, wenn keine sofortige, schnelle und drastische Reduktion von Treibhausgasemissionen erfolgt. Im Verhältnis etwa zur Landwirtschaft oder zur Industrie mögen die CO2-Emissionen der Freien Darstellenden Künste marginal erscheinen. Gemessen an den planetarischen Belastungsgrenzen sind sie jedoch deutlich zu hoch. Dies wird bei der Entwicklung der Freien Darstellenden Künste in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spielen. Diese Transformationen gilt es aktiv zu gestalten und nicht passiv zu erleiden, d. h. Wandel by design und nicht by disaster. Das Zeitfenster für proaktives Handeln schließt sich zusehends. Welche Beiträge müssen die Freien Darstellenden Künste also leisten, damit die Auswirkungen des Klimawandels beherrschbar bleiben? Wie müssen sie sich auch und vor allem in ihrer Produktionsweise neu formieren, um ihren Anteil an den Prozessen der Klimaerhitzung und Umweltzerstörung möglichst gering zu halten? Welche Rolle können sie bei der Erfindung grundlegend anderer Formen der Produktion und Sorgetätigkeit spielen, die sich modellbildend auch auf andere Bereiche gesellschaftlichen Wirtschaftens auswirken?
Die Teilstudie beleuchtet die Wechselwirkungen zwischen der anthropogenen Klimaerhitzung und verwandten ökologischen Problemen auf der einen Seite und den Produktionsweisen der Freien Darstellenden Künste auf der anderen unter dem Begriff der Nachhaltigkeit in zwei Hauptteilen. Der erste dieser Teile diskutiert unter dem Leitbegriff der Infrastruktur vor allem institutionelle Handlungsfelder wie Betriebsökologie, Klimabilanzierung und strategisches Nachhaltigkeitsmanagement, nachhaltige Gebäude, materielle Infrastrukturen und Kreislaufwirtschaft sowie nachhaltige Produktion. Der zweite Teil fokussiert unter dem Leitbegriff der Mobilität auf den Zusammenhang von Reisen, Förderpolitik und prekären Existenz- und Arbeitsweisen, auf finanzielle und organisatorische Bedingungen der Transportmittelwahl, Mobilitätsgerechtigkeit sowie die Problematik eines ökologisch nachhaltigen Gastspiel- und Touringbetriebs. Die Teilstudie wertet dabei bestehende Initiativen, Maßnahmen und Maßgaben kritisch aus, prüft ihr modellbildendes Potential, ermittelt Bedarfe und Fördermöglichkeiten und formuliert Ziele für ein nachhaltiges Produzieren. Als Grundlage dienen die Ergebnisse der Klimawissenschaft sowie ein intersektionales Verständnis von ökologischer Nachhaltigkeit im Sinne der Klimagerechtigkeit, die auf die Produktionsverhältnisse der Freien Darstellenden Künste angewandt werden.
Das Feld der Nachhaltigkeit ist breit und heterogen. Die entsprechenden Maßnahmen bilden ein Bündel höchst spezifischer Interventionen und Transformationen in allen betrieblichen Tätigkeitsfeldern; von der künstlerischen und kuratorischen Arbeit über die Verwaltung, die Gewerke, das Gebäudemanagement bis hin zum Publikum. Da die Institutionen und Organisationen des Felds an einigen umweltpolitisch zentralen Branchen, wie dem Verkehrs- und Energiesektor oder der Gebäude-, Material- und Abfallwirtschaft, teilhaben, darf die Finanzierung dieser Maßnahmen nicht allein aus der Kulturförderung bestritten werden. Die Ressorts Umwelt und Wirtschaft sind hier ebenso gefragt wie etwa die Erträge aus der CO2-Bepreisung. Das Feld der Freien Darstellenden Künste bietet aufgrund seiner gesellschaftlichen Strahlkraft einen ausgezeichneten Ort für die übergreifende Etablierung einer Nachhaltigkeitskultur aus diesen Mitteln.
Beteiligte
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Dr. Maximilian Haas
Universität der Künste Berlin
© Elise Von BernstorffDr. Maximilian Haas
Universität der Künste BerlinMaximilian Haas ist Theater-/Medienwissenschaftler sowie Dramaturg und lebt in Berlin. Er ist Postdoktorand am DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ an der Universität der Künste Berlin. Haas studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und wurde mit einer praxis-basierten Dissertation zum Thema „Tiere auf der Bühne: Eine ästhetische Ökologie der Performance“ an der Kunsthochschule für Medien Köln promoviert. Seine wissenschaftliche Forschung umfasst die Theorie und Praxis von Dramaturgie im zeitgenössischen Tanz und Theater, die Ästhetik performativer Künste, die Methodik und Epistemologie künstlerischer Forschung, Science und Animal Studies sowie ökokritische Diskurse. Das aktuelle Projekt befasst sich in performancetheoretischer Hinsicht mit ästhetischem Wissen und künstlerischem Handeln im neuen Klimaregime. Haas war an der Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz Berlin und den Berliner Festspielen engagiert und kollaborierte dramaturgisch mit Künstler*innen wie Hannah Hurtzig (Mobile Academy Berlin), Lucie Tuma, Martin Nachbar und Jeremy Wade. Mit Margarita Tsomou kuratiert er seit 2018 die Diskursreihe „Burning Futures: On Ecologies of Existence“ am Berliner HAU Hebbel am Ufer.
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Prof. Dr. Sandra Umathum
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin
© privatProf. Dr. Sandra Umathum
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz BerlinSandra Umathum ist Theater- und Performancewissenschaftlerin, Dramaturgin und seit 2020 Professorin für (Angewandte) Theorie Tanz, Choreografie, Performance am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT). Von 2010 bis 2012 war sie Gastprofessorin für Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig und von 2013 bis 2018 Professorin für Theaterwissenschaft und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie promovierte mit „Kunst als Aufführungserfahrung“, einer Studie über intersubjektive Erfahrungen in der Ausstellungskunst (transcript 2011) und ist Mitherausgeberin u. a. von „Disabled Theater“ (diaphanes 2015) oder „Postdramaturgien“ (Neofelis 2020). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Theorie und Praxis des Gegenwartstheaters und der Performance, Relationen von Darstellender und Bildender Kunst seit den 1950er Jahren, Performance & Disability, Performance und/als Dokumentation, Schießen (mit der Waffe und mit der Kamera) sowie neue Formen und Praktiken der Dramaturgie. Im Rahmen von Impulse Theater Festival kuratierte sie 2018 die „Akademie des Prekären #2: Unsichere Begegnungen“ (studiobühne Köln). Außerdem war sie Ko-Kuratorin von „Dirty Debüt“, einer Veranstaltungsreihe zur Unterstützung junger Performance Künstler*innen (Sophiensaele Berlin, 2018/19; Ballhaus Ost, 2020).