Die Förderung der Freien Darstellenden Künste jenseits der Großstädte - Zwischen Eigensinn und Peripherisierung

Vortrag beim Symposium „Transformationen der Theaterlandschaft"

Micha Kranixfeld & Marten Flegel, Universität Koblenz-Landau

Exposé

In den letzten Jahren sind die Freien Darstellenden Künste jenseits der Großstädte in ihren vielfältigen Strukturen und ästhetischen Formen stärker in den Blick kulturpolitischer Debatten gerückt. Die qualitativ-explorative Studie basiert im Kern auf Interviews mit Künstler*innen, ergänzt um weitere Gespräche mit Expert*innen aus dem Feld. Sie stellt wesentliche Kontexte und Rahmenbedingungen systematisiert dar und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. Am Ende der Studie stehen sieben Essenzen:

Peripherisierung addiert sich. Sie ist ein Prozess, der sich aufbaut – und deshalb auch abgebaut werden kann. Die Auswirkungen sind deutlich: Erschwerte Produktionsbedingungen, geringere Sichtbarkeit, fehlender Austausch mit anderen Künstler*innen, Entmutigung. Die Entwicklung differenzierter Fördermodelle auf Bundesebene setzt deshalb voraus, regionale Gegebenheiten gut zu kennen und sie im Sinne der Fairness auch unterschiedlich zu behandeln.

Die Bundesebene braucht die kommunale als Gegenüber auf Augenhöhe. Das föderale Prinzip, nach regionaler Relevanz gestaffelt in den Förderstrukturen aufzusteigen, greift bei den Freien Darstellenden Künsten aktuell nicht, weil viele kommunale Verwaltungen Kultur als Ehrenamtsaufgabe begreifen oder finanziell ungenügend aufgestellt sind. Kommunen, Länder und Bund müssen einen Pakt für die Zukunft der Strukturen der Freien Darstellenden Künste schließen.

Jenseits der Großstädte steht die Bevölkerung im Zentrum der künstlerischen Überlegungen. Eine solche Beziehungskunst braucht langen Atem. Jenseits der Großstädte profitieren die Freien Darstellenden Künste überproportional vom Ausbau prozessorientierter Förderungen, von Basisförderungen und überjährigen Projektförderungen. Die Zeitstrukturen von Förderprogrammen müssen zu denen der notwendigen Beziehungsarbeit passen, nicht umgekehrt.

Jenseits der Großstädte entsteht ein neues Bild kultureller Infrastrukturen. Zu den Kulturinfrastrukturen gehören umgebaute Scheunen und Kindergärten genauso wie Transporter und Glasfaseranschlüsse. In der Wissensgesellschaft sollten auch Netzwerke sowie Aus- und Weiterbildungsangebote zu den relevanten Infrastrukturen gezählt werden. Die Gestaltung der Voraussetzungen für ein gelingendes Kulturleben zeigt sich insgesamt als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe.

Ohne Gastgeber*innen läuft es nicht. Für viele Künstler*innen bilden Schulen, Büchereien, Soziokulturzentren, Dorfgemeinschaftshäuser und andere soziale Orte bei Gastspielen und Residenzen wesentliche Ankerpunkte. Die dort Engagierten investieren auf vielfältige Weise in das lokale Kulturleben, teils ehrenamtlich, teils weit über den Umfang ihrer Personalstellen hinaus. Ihre Kulturarbeit ist in hohem Maß von langfristigen Verabredungen und wiederkehrenden Elementen geprägt. Kurzfristige Projektförderungen erschweren eine nachhaltige Zusammenarbeit.

(Über)regionale Strukturen beflügeln die Arbeit vor Ort. Kooperation und Austausch werden von den Befragten besonders dann als förderlich beschrieben, wenn sie entlang gemeinsamer künstlerischer Interessen organisiert sind. Zu prüfen ist, wo durch eine Fokussierung auf Künstler*innen jenseits der Großstädte oder bestimmte Sparten die Adressierung spezifischer Fragen und Selbstvergewisserung erreicht wird, und wo durch die bewusste Mischung der Sozialräume oder Praktiken neue Impulse entstehen können.

Die Freien Darstellenden Künste jenseits der Großstädte agieren im Strukturwandel und suchen mit ihrem Publikum nach Perspektiven. Freie Darstellende Künste schaffen jenseits der Großstädte Strukturen und Begegnungen, in denen sich lokales Wissen versammelt (bonding capital) und durch Querverbindungen in andere Regionen (bridging capital) und globale Fragen (linking capital) neu zusammenfügt. Dabei bilden sie sektorübergreifende Allianzen mit unterschiedlichsten Akteur*innen aus der lokalen Bevölkerung, also Konstellationen, die wichtige Triebkräfte des Wandels sind. Die Arbeit der Freien Darstellenden Künste jenseits der Großstädte ist somit kein Nachhilfeunterricht und auch keine Versorgungsleistung, sondern selbstbewusstes Agieren in und mit den Mitteln der sogenannten Provinz.

Beteiligte